30. August 2020 – Festakt: 50 Jahre „Experiment Straßenkunst“
So. 30.08. | 12.00 (bleibt digital verfügbar)
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Vor Ort mit Gästen
Festakt zu 50 Jahren Experiment Straßenkunst
Das hannoversche Straßenkunstprogramm oder auch Experiment Straßenkunst war das erste Programm für Kunst im öffentlichen Raum einer deutschen Stadt. Es wurde unter anderem von Oberstadtdirektor Martin Neuffer initiiert, am 27. Mai 1970 vom Rat der Stadt für drei Jahre beschlossen und begann am 1. September des gleichen Jahres, am Tag nach dem ersten Altstadtfest. Wir haben zum 50. Jahrestag Zeitzeug*innen und Persönlichkeiten aus Politik, Verwaltung und Kultur um Grußworte gebeten.

Herzlich willkommen!
Herzlich willkommen zu einer ganz besonderen Ausgabe von Kunst umgehen, dem Vermittlungsprogramm für Kunst und Stadtraum des Kulturbüros der Landeshauptstadt Hannover! Wir haben heute die Ehre, einen Festakt auszurichten: anlässlich des 50jährigen Jubiläums des Beginns des Experiment Straßenkunst in Hannover.
Wären wir nicht durch eine Pandemie in unseren Möglichkeiten eingeschränkt, würden wir jetzt vielleicht alle zusammen an einer langen Festtafel auf der Wiese vor dem Leineschloss sitzen, dort, wo vieles begann. Wir würden unsere Gläser erheben und dann Grußworten von Zeitzeug*innen, Vertreter*innen von Kunstinstitutionen und Amtsträger*innen der Landeshauptstadt lauschen.
Zumindest Letzteres wollen wir Ihnen nicht vorenthalten. Unter dieser Einführung finden Sie eine Reihe von Video- und Audioaufnahmen sowie Texten, in denen sich Menschen erinnern, zurück und nach vorn blicken, das Experiment Straßenkunst würdigen, aber auch kritisch in Zusammenhänge rücken.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß und das eine oder andere Aha an unserer digitalen Festtafel!
Grußwort von Belit Onay, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover
Das Experiment Straßenkunst
Wenn Sie auf diesen Link klicken, gelangen Sie zu einer Seite der Hochschule Hannover, auf der diese den knapp 30minütigen, restaurierten Dokumentarfilm Die Kunst geht auf die Straße von Horst Latzke aus dem Jahr 1970 zeigt.
Grußwort von Melanie Botzki und Inga Samii, Leitungsteam der hannoverschen Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025
Was vor 50 Jahren als Experiment Straßenkunst in den 1970ern im Kleinen begann, findet sich heute im Großen in unserer Bewerbung zur Kulturhauptstadt wieder: mit Kultur im öffentlichen Raum und mit Kunst auf Tritt und Schritt Neues wagen, Fragen aufwerfen, ungewöhnliche Zusammenhänge herstellen und kontroverse Diskussionen auslösen. So wird im Kulturhauptstadtjahr nicht nur Kunst vermittelt. Denkbar wäre auch, einen weiteren ‚Faden‘ zu etablieren, einen, der analog zum Roten Faden statt Sehenswürdigkeiten Kunst im öffentlichen Raum verbindet – verdient hat sie‘s. Happy Birthday, Straßenkunst!
Melanie Botzki und Inga Samii, Leitungsteam der hannoverschen Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025
Grußwort von Herbert Schmalstieg, ehemaliger Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover
Grußwort von Kathleen Rahn, Direktorin des Kunstvereins Hannover und Mitglied des Beirats für Kunst im öffentlichen Raum Hannover
Grußwort von Carina Plath, stellvertretende Direktorin des Sprengel Museum Hannover und Mitglied des Beirats für Kunst im öffentlichen Raum Hannover
Grußwort von Angela Kriesel, Tochter von Bernhard Sprengel und Mitbegründerin des Vereins der Freunde des Sprengel Museums Hannover
Grußwort von HAWOLI, als Künstler 1971 beteiligt am Experiment Straßenkunst
Grußwort von János Nádasdy, als Künstler 1970 beteiligt am Experiment Straßenkunst

„Altstadtfest in Hannover, Eröffnung des Straßenkunstprogramms, 29. August 1970“, so hieß es damals offiziell. Zu Beginn hörte es sich verheißungsvoll an und ich habe mich beworben. Das mit der Straßenkunst hat mich sehr interessiert. Erst später, nach und nach, genau nach dem Lesen eines Artikels im Magazin DER SPIEGEL, erfuhr ich, was da wirklich abgehen sollte: Werbung für die Stadt Hannover! Die Stadt sei nicht attraktiv genug, die Abwanderung der Bevölkerung habe Ausmaße erreicht, die schon die Industrie gefährdeten, hieß es. Oberstadtdirektor Martin Neuffer hat einen Schweizer Imageberater beauftragt, für Hannover eine Werbestrategie zu entwerfen. Riesengaudi mit Kunst ist dabei herausgekommen. Ich habe mich mit einer Aktion beworben – heute hieße es Performance – und ich nannte sie Wohnsperre. Mit meinem Kollegen Jürgen Schneyder war ich der einzige, der als hannoverscher Künstler angenommen wurde.
„Sonnabend, 29. August 1970, um 8 Uhr. Ich richte mich in der „Wohnsperre“, vor dem Niedersächsischen Landtag, auf den Leinewiesen ein.
9 Uhr. Mit Hilfe von meiner Frau Hanna, mit Andre Spolvint und mit Hilfe meiner Schüler des Hannover Kollegs, baute ich einen Käfig von 4 m². Ich schließe mich hier ein und ich werde ihn bis Montag nicht verlassen…“
So steht es im Protokoll, das ich in den zwei Tagen geführt habe. Ich habe mich in der Enge der Wohnsperre wohnlich eingerichtet, gekocht, geschlafen, geschrieben und beim Johlen des Publikums nackt gebadet. Das wichtigste war jedoch die Auseinandersetzung mit dem Publikum. Würstchenbuden, Bierzelte und Musikbands mit der bekannten, ohrenbetäubenden Lautstärke – was sich im Trubel eher als Lärm anhörte – was soll, was kann da noch Kunst? Mit den 4 m² des Wohnkäfigs symbolisierte ich meine Möglichkeiten als Künstler, in Prozesse der Stadtplanung einzugreifen, mitzumachen, zumal in einer Stadt wie Hannover, die im Krieg total zerstört worden war und deren Wiederaufbau noch lange nicht abgeschlossen war. Vor diesem Hintergrund ist die Rolle des Stadtbaurates Hillebrecht in den Nachkriegsjahren der Stadt mehr als zweifelhaft. In seiner Zeit sei nämlich mehr historische Substanz in der Stadt zerstört worden als es in den Bombennächten geschah, heißt es. Die Bildende Kunst kann da, weiß Gott, wenig anrichten.
Martin Neuffers gute Absicht kann heute nicht bezweifelt werden. Es war trotz allem, in vielen anderen Hinsichten, hochinteressant, für mich auf jeden Fall. Kunst so als Werbung einzuspannen, ja, zu missbrauchen, war ein gewagtes Unternehmen, ich glaube, das wusste er und er hat es dennoch gewagt. Es musste was geschehen und er hatte wohl keine andere Wahl. Die Brücke über die Leine am Marstall trägt heute mit Recht seinen Namen. Im Jahr 1974 wurde das Straßenkunstprogramm, nicht nur wegen Mangel an Geldern, eingestellt. Es konnte so nicht funktionieren. Heute, 50 Jahre später, werden Erinnerungen nur von wenigen in dieser Stadt, wie den lieben Menschen vom Projekt Kunst umgehen, gepflegt.
Als Epilog noch dies:
Als LOOK-INN-Thema bei der Neuen Hannoverschen Presse gab es im Januar 1974 eine hochinteressante Diskussion mit dem Titel: Straßenkunst: Wie, wo und warum? Die Teilnehmer der Diskussion, die von NHP-Redakteur Sigi Barth moderiert wurde, waren Gerd Winkler, Timm Ulrichs, Dr. Helmut R. Leppien, Mike Gehrke, Hans-Jürgen Breuste, Heinz Lauenroth u. a. Ein Zeitungsartikel, der daraufhin am 11. Januar in der NHP erschienen ist, trug den Titel Die Straße ist kein Museum und weiter heißt es, „Kunst darf nicht als Propaganda eingesetzt werden“, und dieser Meinung waren FAST! alle.
Aus dem Protokoll:
„Montag, den 31. August 1970, 10.30 Uhr. Ich komme aus dem Käfig heraus. Ich könnte es keine Minute mehr aushalten. Wir beginnen mit der Demontage.„
János Nádasdy, als Künstler 1970 beteiligt am Experiment Straßenkunst
Grußwort von Otto Almstadt, als Künstler 1971 bis 1974 beteiligt am Experiment Straßenkunst

Grußwort von Siegfried Neuenhausen, Künstler, Kunstvermittler und Zeitzeuge
Grußwort von Joachim Giesel, Fotograf und Chronist des Experiment Straßenkunst
Grußwort von Sid Auffahrt, Stadtbauhistoriker und Zeitzeuge

Laut Ludwig Zerull „ist Hannover die Stadt mit den meisten Skulpturen. Manch einen stört das sogar“ – und das ist auch gut so. Denn Kunst im öffentlichen Raum sollte dazu anstiften, Fragen zu stellen: Warum steht das da? Kunst ohne Dach setzt Akzente für einen bestimmten Ort, stärkt die Mannigfaltigkeit einer Stadt, bildet Merkzeichen zur Orientierung, provoziert auch und steht für Geschichten – aber oft sieht man nur, was man auch weiß.
Durch das Programm Kunst umgehen lernen Interessierte mehr über das betrachtete Objekt, den Ort und die Stadt. Und beim Sprechen darüber wird das Gesehene vertieft, bestenfalls auch vertrauter. Aus Sicht des Bauhistorikers und Stadterklärers gehört zum Gebauten auch der öffentliche, der soziale Raum in seiner Vielfalt.
Was vor 50 Jahren furios und spielerisch als Experiment Straßenkunst begann und durch den Streit um die prallen Nanas dramatisch abstürzte, hat sich in der Folgezeit mal entschieden und streitbar, mal raumgreifend wirkungsvoll und mal naiv-liebenswert in den städtischen Raum eingeschrieben. Immer aber wurden die hannoverschen Straßen und Plätze dadurch eigensinnig bereichert.
Ich wünsche der Stadt Hannover auch für die Zukunft viele urbane „Störfälle“!
Sid Auffahrt, Stadtbauhistoriker und Zeitzeuge
Grußwort von Christiane Oppermann, Künstlerin und Mitglied des Teams von Kunst umgehen
Ich möchte mich herzlich bei allen Grußwort-Gebern für Ihr Engagement und Ihre offenen Worte bedanken, die das Experiment Straßenkunst an dieser Stelle aus verschiedenen Perspektiven lebendig machen!
Was bleibt zu sagen? Als ich 1987 nach Hannover kam, lag das Experiment Straßenkunst lange zurück. Aber die Kunst im Stadtraum ‚packte‘ mich sofort und inspirierte mich später zu eigenen, temporären Arbeiten. Als Vermittlerin freut es mich, dass viele bedeutende Werke aus dem Experiment erhalten sind, auf die wir immer wieder neu schauen können. Einige Arbeiten haben im Lauf der Zeit den ursprünglichen Standorte gewechselt, leider nicht immer zum Vorteil der Werke. Mein Schlusswort ist daher mit dem Wunsch verbunden, einige Standorte zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern. Ich denke speziell an die Installation „Avenue K“ von Kenneth Snelson, die meines Erachtens deutlich mehr Freiraum braucht. Vor allem aber ist mein Schlusswort ein klares und freudiges Plädoyer: Auf zu neuen Experimenten im öffentlichen Raum Hannovers!
Christiane Oppermann, Künstlerin und Mitglied des Teams von Kunst umgehen
Statt eines Grußworts: Handlungsvorschlag von Anna Grunemann, Künstlerin und Mitglied des Teams von Kunst umgehen
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Sofern Sie uns in Ihrer Nachricht die Erlaubnis dazu erteilen, fügen wir Ihre Rückmeldung, gleich in welcher Form, gerne im Anschluss in unseren Festakt ein.