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20. Juni 2021 – Kurzbetrachtung: Ist Garten Kunst?

So. 20.06. | ab 12.00 (bleibt digital verfügbar)
Kunst umgehen: Kurzbetrachtung
von Anna Grunemann

Die Kurzbetrachtungen sind ein neues Format bei Kunst umgehen: Jeweils ein Mitglied des Vermittlungsteams lässt Sie teilhaben an Ideen, Assoziationen, Neuigkeiten und Meinungen zu Kunst in öffentlichen Räumen. Hier ist öffentlicher Raum für individuelle Perspektiven nicht nur auf einzelne Objekte oder Projekte in Hannover und der Welt, sondern auch auf Bezüge, Potentiale oder Defizite.

Ist Garten Kunst?
Eine analytische Bestandsaufnahme

von Anna Grunemann

Als ich vor zwei Jahren für Kunst umgehen mit Ronald Clark (Landschaftsarchitekt und Direktor der Herrenhäuser Gärten in Hannover) auf einem Podium im Berggarten saß und er diese Behauptung sehr selbstverständlich in den Raum stellte, widersprach ich noch. Ich muss dazu sagen, der Aufruhr der Entrüstung im Publikum ob meiner damaligen Ignoranz hat mich durchaus nachdenklich gemacht.

Für eine Anlage wie die Herrenhäuser Gärten oder andere Gartenanlagen wie den Branitzer Park bei Cottbus (ich kann hier natürlich nicht alle aufzählen), trifft diese Aussage natürlich zu. Das stand für mich auch nie in Frage.

Nun hat sich mein Lebensumfeld gewandelt und ich bin ein bisschen dichter an der Materie. Also will ich heute den Beweis antreten, dass ich 2018 wirklich im Unrecht war.

Indirekter Beweis:

Zur Erinnerung: Hier wird davon ausgegangen, dass das Gegenteil der Annahme richtig sei und bewiesen (argumentiert), dass diese gegenteilige Annahme falsch ist.

Annahme 1: Der Garten ist kein Kunstwerk!

Annahme 2: Der Gärtner ist kein Künstler!

Wenn der Garten kein Kunstwerk ist, dann ist auch der Gärtner kein Künstler.

Dem würde natürlich sofort Joseph Beuys widersprechen, der in diesem Jahr 100 Jahre alt würde. Sein Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler!“ wird zwar vielfach fehlinterpretiert, aber darin steckt doch die Aussage, jedem Menschen wohne eine schöpferische Kraft inne, die er nutzen kann.

Wenn wir vom Künstler als Schöpfer von Formzusammenhängen, die auch noch so variabel, beweglich, flüchtig, zum Teil sogar unsichtbar sind, ausgehen, dann würde der Gärtner, dessen Material Landschaft, Boden, Pflanzen, Wasser und Dünger sind, ebenso zu den Künstlern gehören. Der Gärtner nutzt also sehr wohl seine schöpferische Kraft, indem er das Pflanzenmaterial (Farben und Formen mit weiteren Eigenschaften) in eine gewisse Ordnung bringt, die gewollt ist.

Was ist aber mit den unbekümmerten Gärten?

Oder ab wann gilt ein bearbeitetes Stück Land eigentlich als Garten?

Der Duden ist da in seiner Beschreibung recht nüchtern: „begrenztes Stück Land [am, um ein Haus] zur Anpflanzung von Gemüse, Obst, Blumen o. Ä.“

Das liest sich nicht nach Kunst, sondern eher nach Zweck. Kunst gilt doch als zweckfrei. (Darüber könnte man sich natürlich auch streiten.) Andererseits kann es die Begrenzung schon durchaus mit dem Formatgedanken in der Kunst aufnehmen. Vom Miniaturbildgrund über Rauminstallationen bis hin zu den gigantisch dimensionierten Interventionen der Land Art spielt sich Kunst doch mehr oder weniger immer auf einer begrenzten Fläche oder in einem begrenzten Raum ab. Selbst wenn man Mailart-Aktionen betrachtet, die ja im virtuellen Raum stattfinden, nehmen alle Formen der Kunst doch Bezug zu gedachten, realen oder virtuellen Räumen.

Ist dann also auch jeder Hobbymaler ein Künstler?

Wenn also jeder Mensch ein Künstler sei, müsste doch erst recht jeder Hobbymaler ein Künstler sein. Nun ich will die Frage nicht beantworten. Aber Künstler zu sein, bedeutet ja ein Versprechen: nämlich, dass der Künstler sich intensiv und fortwährend weiterentwickeln will und sich mit seiner Welt mit all seinen Fähigkeiten auseinandersetzt, Fragen stellt, die für andere Menschen neue Sichtweisen eröffnen, und sich durch souveränen Umgang mit seinen gewählten Materialien auszeichnet.

Es dürfte durchaus Hobbymaler geben, die diese Kriterien erfüllen und sich selbst  trotzdem nicht Künstler nennen würden. Der Hintergrund, den ein Künstler in lebenslanger Auseinandersetzung mit der Welt, durch sein Studium (auch nicht zwingend) und sein bedingungsloses Schaffenmüssen (im Geist wie in Natura) erarbeitet, ist eben auch ein Kriterium, welches das eingangs erwähnte Versprechen rechtfertigt und dem Hobbymaler zumindest Hürden auferlegt, sich in der Riege der Künstler wohlzufühlen. Aber hätte Beuys dann doch Unrecht?

Um im Beweis fortzufahren, stellen wir also fest: Jeder professionelle Gärtner dürfte ein Künstler sein.

Fragen Sie mal einen Gärtner, ob er sich als Künstler versteht! Ich vermute, die wenigsten würden ihre Frage bejahen. Obwohl sie doch in ihrem Format um einen ästhetischen Ausdruck ringen. Sie arrangieren, komponieren, reduzieren, verdichten, vernichten – und das alles ebenso in der Dreidimensionalität, wie in der zeitlichen Komponente. Wir können wohl davon ausgehen, dass der Gärtner sich durch souveränen Umgang mit seinem Material auszeichnet. Nebenbei hat er auch noch mit den Unwägbarkeiten der Natur zu kämpfen und muss wohl noch mehr Rückschläge hinnehmen als der Künstler.

Aber – und da sind wir bei den Auftraggebern: Im eigenen Garten ist der Gärtner sein eigener Auftraggeber. Ansonsten arbeitet er ja nach Auftrag und in der Regel entspricht dieser dem ästhetischen Empfinden des Anderen. Also können wir uns wohl einigen, dass der Gärtner ein Kunsthandwerker ist und der selbstbestimmte Gartenplaner und Landschaftsarchitekt ein Künstler sein muss, der eben andere mit der Ausführung seiner Werke beauftragt, die die fachliche Kompetenz besitzen, seine Idee professionell zu realisieren.

Schlussfolgerung:

Der mit planerischer Umsicht und ästhetischem Kalkül angelegte Garten muss ein Kunstwerk sein, da Annahme 2 falsch ist.

Was zu beweisen war.

[Branitzer Park – Historische Zeichnungen]

Fußnote: Es gibt immer einige wenige Gärtner, die beides in sich vereinen: das handwerkliche Geschick und die künstlerische Sensibilität. Dies könnte die Voraussetzung sein, dass auch deren Gärten Kunst wären.

Ausnahmen bestätigen die Regel.

Zum Schluss: Nun fragen wir uns natürlich, was dann die Stiefmütterchenrabatten auf der Verkehrsinsel sind? – Da sage ich klar: Deko!

[Noch ein Link speziell für Fußballfreunde.]

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