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22. August 2021 – Kurzbetrachtung: Gedanken zur Denkmaldebatte

So. 22.08. | ab 12.00 (bleibt digital verfügbar)
Kunst umgehen: Kurzbetrachtung
von Christiane Oppermann

Die Kurzbetrachtungen sind ein neues Format bei Kunst umgehen: Jeweils ein Mitglied des Vermittlungsteams lässt Sie teilhaben an Ideen, Assoziationen, Neuigkeiten und Meinungen zu Kunst in öffentlichen Räumen. Hier ist öffentlicher Raum für individuelle Perspektiven nicht nur auf einzelne Objekte oder Projekte in Hannover und der Welt, sondern auch auf Bezüge, Potentiale oder Defizite.

Gedanken zur Denkmaldebatte

von Christiane Oppermann

Der durch Black Lives Matter ausgelöste Bildersturm und die daran koppelnde Denkmaldebatte führen derzeit in vielen deutschen und europäischen Städten zur Überprüfung von im öffentlichen Raum befindlichen Statuen und Denkmälern. In Hannover kamen mit dem Mahnmal gegen Kolonialismus der Kolonialist Carl Peters (1856-1918) und seine stark ausgeprägte rassistische Einstellung erneut ins Visier und ein lange schwelender Konflikt erneut zum Ausbruch:

[Mahnmal gegen Kolonialismus auf dem Bertha-von-Suttner-Platz in Hannover (Foto: ChristianSchd – CC BY-SA 3.0).]

Soll das in der Nazizeit vom Bildhauer Ulfert Janssen (1878 – 1956) als Ehrenmal geschaffene, zum Mahnmal gegen Kolonialismus umgewidmete, Denkmal abgerissen werden oder als zeitgeschichtlicher Fakt, Anschauungsstück und Diskursobjekt erhalten bleiben und ’nur‘ neu kontextualisiert werden – oder soll das Objekt an einem anderen Ort der Betrachtung und Vermittlung zugänglich gemacht werden?

Stationen des Konflikts:

(Quelle: Michael Trammer, Kolonialverbrecher aus Hannover: Zu viel der Ehre, in: taz, die tageszeitung vom 30. Juni 2021)

1916 Benennung als Karl-Peters-Platz zu Ehren des Kolonialisten.
1935 Einweihung des Denkmals mit der Inschrift „Dem großen Niedersachsen Carl Peters, der Deutsch-Ostafrika für uns erwarb“.
1985 Antrag auf eine Mahntafel wird von der CDU abgelehnt.
1988 Anbringung der Mahntafel und Umwidmung in „Mahnmal gegen Kolonialismus“. Die     Inschrift: „Dieses Denkmal wurde im Jahr 1935 durch die Nationalsozialisten errichtet. Es stand für Verherrlichung des Kolonialismus und des Herrenmenschentums. Uns aber ist es Mahnung – der Charta der Menschenrechte entsprechend –, uns einzusetzen für die Gleichberechtigung aller Menschen, Völker und Rassen.“
1989 Beschluss der Umbenennung des Platzes nach Friedensforscherin Bertha von Suttner.
1994 Umbenennung erfolgt gegen Widerstand von CDU, FDP und Republikanern.
2020 Debatte um Umbenennung infolge der „Black Lives Matter“-Bewegung.“

Wohin mit den ‚Altlasten‘

Wohin oder wie verfahren mit den ‚Altlasten‘, die – und darin scheint mehr Einigkeit als Streit – mit ihrer rassistisch kolonialen Prägung, Herkunft und Vergangenheit nicht mehr ins/zum heutigen Selbst- und Weltbild passen – oder passen sollen?

Skepsis erwacht. Beruht der Wohlstand Deutschlands (und der westlichen Welt) nicht immer noch auf Ausbeutung? Und ist zum Beispiel die Rückgabe kolonialer Beutekunst, wie es seit einiger Zeit geschieht, nicht eigentlich eine Ersatzhandlung – statt grundsätzliche Fragen einer gemeinsamen globalen Zukunft anzugehen? Und überhaupt: Sollte eine wirkliche Dekolonisation nicht vor allem die Menschen in den Vordergrund rücken?

Ein Blick auf das Ende des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan und den Umgang mit den Menschen, die ‚für uns‘ tätig waren, nährt den Zweifel – ganz zu schweigen von den Menschen, die nicht ‚das Glück‘ hatten, ‚für uns‘ zu arbeiten und keine Hoffnung haben können, den Taliban zu entkommen.

Zur Erinnerung: Vor 20 Jahren zerstörten diese die Buddha-Statuen von Bamiyan – ein grausamer Bildersturm, der die Welt schockierte und zutiefst berührte, und nachdenklich macht.

[Die große Buddha-Statue (Höhe 53 m) vor (Foto 1963) und nach (Foto 2008) der Zerstörung. Quelle: diverse, siehe Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0.]

„Demokratische Säuberung“

Einen nicht ganz so berührenden, aber auch nachdenklich machenden Bildersturm gab es auch in der jüngeren deutschen bzw. deutsch-deutschen Geschichte:

Der Nachwende-Umgang mit der DDR-Denkmalkultur zeigt, wie im Kontext der Wiedervereinigung so etwas wie eine „demokratische Säuberung“ stattfand, mit der quasi über Nacht die an zentralen Stellen errichteten Statuen und Wandbilder von Marx, Engels und Lenin aus Stadtbildern verschwanden, ebenso wie der gesamte Palast der Republik in Ostberlin dem Wiederaufbau eines Schlosses weichen musste – und dies wohl nicht nur aufgrund der Asbestverseuchung. Auch zu diesem Vorgehen gibt es unterschiedliche Perspektiven und viele Meinungen.

Ob die Entfernung der Statuen rechtens war oder zu recht gemacht wurde – das Vorgehen wurde, so mein persönlicher Eindruck des Geschehenen, von der Mehrheit der Bevölkerung befürwortet oder zumindest ohne großen Widerstand hingenommen. Verständlich vor dem Hintergrund des Lebens in einem dann als „Unrechtsstaat“ benannten Land sowie der Freude über den Erfolg der friedlichen Revolution, wobei sich doch Einige anstelle der deutschen Einheit die Gründung eines eigenen Staats gewünscht hätten. Aber das ist nun auch ‚Geschichte‘.

[Das Berliner Marx-Engels-Denkmal, von Unbekannten besprüht mit dem Spruch „Wir sind unschuldig“. Ebenfalls von Unbekannten wurde das „un“ durchgestrichen. Quelle: Deutsches Bundesarchiv – CC BY-SA 3.0]

Ein Artikel von David Johst aus dem Jahr 2016 für die Bundeszentrale für politische Bildung, dem ich den Begriff „demokratische Säu-berung“ entnommen habe, behandelt das Thema „Demokratischer Denkmalsturz? Über den Umgang mit politischen Denkmälern der DDR nach 1989“.

Und wohin kamen die Statuen und Wandbilder? Zwei Beispiele

1974 bekam Dresden die zweitgrößte deutsche Leninstatue in Form des Lenindenkmals. Das 120 Tonnen schwere Monument aus rotem Granit stellte Lenin mit zwei Gefolgsleuten im Vorwärtsmarsch dar. 1992 aus der Öffentlichkeit entfernt, gelangte das Werk in die Privatsammlung eines süddeutschen Kunstsammlers, der einen privaten Skulpturenpark plante, der jedoch nach seinem Tod 1994 nicht realisiert wurde. Der Münchner Künstler Rudolf Herz konnte Teile des Denkmals (die Büsten Lenins, des Rotfrontkämpfers und des Arbeiters) kostenfrei ausleihen und veranstaltete 2004 damit sein Projekt Lenin on Tour, welches ihn mit einem Sattelschlepper als provisorischem Sockel durch ausgewählte europäische Städte und Landschaften führte (u. a. nach München, Zürich, Turin, Rom, Wien, Prag und Berlin – und für einen Tag zurück nach Dresden).

[Der Weg der Roten Fahne von Gerhard Bondzins am Kulturpalast Dresden. (Foto: Heiko S – CC BY-SA 2.0)]

Besser erging es dem zwischen 1968 und 1969 entstandenen Wandbild Der Weg der Roten Fahne von Gerhard Bondzins (1930 – 2014), das kommunistische Vordenker und Revolutionäre abbildet. Das dreißig Meter lange und zehn Meter hohe Kunstwerk wurde unter Denkmalschutz gestellt und komplett saniert. Ob aus ‚Ostalgie‘ oder als Marketingstrategie, sei dahingestellt. Möglicherweise gibt das mächtige Werk den Dresdner*innen – zumindest der älteren Generation – auch ein Stück Identität zurück.

Vor allem aber sorgt es weiter für Diskussionsstoff. So realisierte u.a. das Zentrum für Baukultur in Dresden 2019 eine mehrtägige Veranstaltungsreihe zum Thema Ideologie – Kunst – Vision: Das Wandbild „Der Weg der Roten Fahne“ am Kulturpalast Dresden.

Dass etwas im Gespräch und in der Auseinandersetzung bleibt, ist gut, insbesondere auch in Bezug auf die Vermittlung der deutschen Geschichte an jüngere Generationen. So gedacht, hätte der Erhalt des Mahnmals gegen Kolonialismus am jetzigen Standort einen Sinn und eine Aufgabe, nämlich die, ‚Stein des Anstoßes‘ zu sein. Und sollte das Mahnmal wider Erwarten dort, mitten unter uns, stehen bleiben, wird es hoffentlich (!) auch weiterhin die Gemüter ‚anstoßen‘. Es aus den Augen zu bekommen, könnte bedeuten, es auch aus dem Sinn und damit aus der eigenen Kulturgeschichte heraus zu bekommen oder bekommen zu wollen, womit in gewisser Weise versucht würde, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben.

Temporäres, wiederholtes Auseinandersetzen

Vielleicht sind temporäre Kunstprojekte doch das Mittel der Wahl. So möchte ich zum Schluss an folgendes Ereignis im Kontext des Mahnmals erinnern, das in der Debatte bisher nicht aufgetaucht ist:

1991, drei Jahre nach der Umwidmung des Denkmals zum Mahnmal, thematisierten die Künstlerinnen Hanna Wagenknecht und Irmgard Pricker im Kontext des Kunstprojekts Blattschuss – dreizehn künstlerische Kommentare zu Hannover das Mahnmal in ihrer künstlerischen Gemeinschaftsarbeit Afrika – Entfaltung.

[Afrika – Entfaltung, Denkmal-Kommentierung von Hanna Wagenknecht und Irmgard Pricker, 1991, Material: Holz, Großfoto, Spiegelfolie, Maße: 300 x 300 cm; Foto: Michael Plümer, in: Blattschuß – dreizehn künstlerische Kommentare zu Hannover, 1991, Herausgeber: Fachhochschule Hannover.]

Katalogtext:

„Das 1953 von den Nazis errichtete Denkmal für Carl Peters, Pionier des deutschen Kolonialismus in Schwarzafrika, ist seit langem Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Um Kritiker zu beschwichtigen, wurde es in den siebziger Jahren mit einem mahnenden Text versehen, der in allgemeiner Form an die Menschenrechte appelliert. Allerdings passt sich die Schrift typographisch der faschistischen Ästhetik des Denkmals an. Diesen Skandal nahm das „Gegendenkmal“ zum Ausgangspunkt: Auf zwei im rechten Winkel aufgestellten Schauwänden war das Afrika-Motiv des Nazidenkmals im Negativ abgebildet, zusammen mit Texten und Daten über heutige Formen des Wirtschaftskolonialismus in Afrika, und zwar spiegelverkehrt. Im inneren Winkel des Aufstellers waren zwei Spiegelflächen angebracht, so dass die Texte erst im Blick auf den „Zerrspiegel der Geschichte“ lesbar wurden und die Umrisse des Kontinents in die Symmetrie gezwungen erschienen.“
(in: Blattschuß – dreizehn künstlerische Kommentare zu Hannover, 1991, Herausgeber: Fachhochschule Hannover)

Das engagierte Werk der ebenso engagierten Künstlerinnen entstand vor genau 30 Jahren. Heute würden Teile der künstlerischen Installation möglicherweise geändert, auch sicherlich bestimmte Formulierungen im Katalogtext, die nicht mehr ‚politically correct‘ sind. (z. B.: „Schwarzafrika“, heute korrekt: „Afrika südlich der Sahara“). Aus eben diesem Grund macht es vielleicht gerade Sinn, Denk- und Mahnmale mehr als Prozesse zu denken und hierfür neue, temporäre, künstlerische Formen zu finden.

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