Heike Mutter und Ulrich Genth: Statement
Dieses Statement ist Teil des Beitrags Forum Innenstadt: Vier Statements aus Berlin, Bremen, Hamburg und München: Was kann Kunst im Stadtraum?
Statement
von Heike Mutter und Ulrich Genth, Hamburg
Wir glauben, dass Kunst im Stadtraum sehr viel kann.
Vor allem kann sie Leidenschaft in oftmals funktional und kommerziell organisierte stadträumliche Gefüge einbringen.
Im Idealfall schafft es Kunst im öffentlichen Raum, Bürger*innen so zu faszinieren, dass damit Verhandlungsräume jenseits der gewohnten und eingespielten Abläufe entstehen.
Eine nicht staatlich kontrollierte Kunst im öffentlichen Raum wirkt mit, die demokratischen Strukturen der Stadtgesellschaft zu fördern, und sie kann eine Vorbildfunktion haben, wenn es darum geht, politisches, soziales Engagement und Beteiligung zu fördern.
Es gibt viele unterschiedliche Wege, wie sich eine Kultur der Kunst im öffentlichen Raum in einer Stadtgesellschaft entwickeln kann, als Zusammenspiel vieler verschiedener Faktoren. Eine ortsansässige Künstler*innen-Szene, die den öffentlichen Raum mit einbezieht, kann ein wesentlicher Bestandteil einer kontinuierlichen Kultur der Kunst im öffentlichen Raum sein. Gleichzeitig braucht eine solche Szene Anregungen, Vermittlung, Unterstützung und entsprechend aufgeschlossene Medien, die Projekte in die Öffentlichkeit tragen. Kunstinstitutionen, Hochschulen, politische Initiativen, Off-Räume und kuratierte Projekte tragen ebenfalls wesentlich dazu bei, dass der öffentliche Raum Teil einer stadtweit geführten künstlerischen Auseinandersetzung ist. Auch die Gewöhnung der Bürger*innen an zeitgenössische Kunst spielt eine wesentliche Rolle, wie das Beispiel der Skulptur Projekte in Münster zeigt.
In Hamburg hat jede*r die Möglichkeit, künstlerische Projekte einzureichen, die im öffentlichen Raum der Stadt Hamburg stattfinden. Über die Projekte für den öffentlichen Raum entscheidet eine zum Großteil mit Künstler*innen, Kunstsachverständigen, aber auch Architekt*innen und Bezirksvertreter*innen besetzte Jury der Kunstkommission. Dieser Pool zur Finanzierung von Projekten ist eine der wichtigsten Säulen für eine selbstbestimmte Kunstszene. Er ermöglicht es den Akteur*innen, sich selbst zu organisieren und mit relativ kurzer Reaktionszeit Projekte zu realisieren, die das politische und soziale Gefüge der Stadt in den Blick nehmen und aktuelle Probleme aufgreifen. Künstler*innen können damit informelle Netzwerke betrieben und alternative Planungsmethoden finanzieren. Es entsteht Gegenöffentlichkeit und Kritik innerhalb der Stadtgesellschaft.
Aus der jahrelangen Arbeit der Kommission lässt sich beobachten, dass die Menge und Qualität der Bewerbungen stark davon abhängt, wie das Level der öffentlichen Diskussion über Kunst im öffentlichen Raum in der Stadt ist und ob entsprechend geschulte Künstler*innen in der Stadt verbleiben. Daher wurde in Hamburg das Projekt der Stadtkurator*in initiiert, dass zugleich Impulse von außen in die Stadt einbringt und als Anlaufstelle für die ortsansässige Künstler*innen-Szene fungiert.
Künstlerische Projekte müssen im öffentlichen Raum eine ganze Menge bürokratischer Hürden überwinden. Viele der Anforderungen ergeben sich einfach daraus, dass im öffentlichen Raum sehr viel mehr Bedingungen zu berücksichtigen sind als in Kunsträumen, wie z. B. Windlast, Statik, Standortgenehmigungen. Künstler*innen wird oft das gesamte Risiko und die volle Verantwortung für Sicherheit, Bauanträge, Vandalismus und oft auch das unternehmerische Risiko überlassen und es müssen Versicherungen abgeschlossen werden, weshalb viele Künstler*innen davor zurückschrecken, sich mit ihrer Arbeit in den öffentlichen Raum zu begeben. Aber auch die Bedingungen der Wahrnehmung eines Kunstwerkes im öffentlichen Raum unterscheiden sich von der Ausstellungspraxis in Kunsträumen. Da im öffentlichen Raum kein Schutzraum um Werke besteht, werden sie sehr direkt im Kontext ihrer Umgebung wahrgenommen und mit anderen Angeboten in Beziehung oder in Konkurrenz gesetzt, so sind sie häufig viel unmittelbarer einer Kritik innerhalb der Stadtöffentlichkeit ausgesetzt.
Mittlerweile erweitert das Internet den physischen Raum für Kunst im öffentlichen Raum um neue öffentliche Räume, die ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten haben.
Der Grad an Freiheit und damit der Möglichkeitsraum, sich in städtischem Raum mit Kunst zu bewegen, kann von Ort zu Ort sehr unterschiedlich sein und das ist oft nicht unbedingt offensichtlich. Viele städtische Areale wirken auf den ersten Blick wie öffentlicher Raum, werden aber privat verwaltet und damit weitgehend durch die Entscheidungen einer einzelnen Akteur*in oder einer Interessengemeinschaft bestimmt. BIDs (Bussiness Improvement Districts) beispielsweise sind Bereiche, in welchen die Gewerbetreibenden das Erscheinungsbild, das soziale Management, aber auch die „Bespielung“ mit Kunst dem Ziel der Optimierung als Konsumraum weitgehend bestimmen.
Wichtig ist, welche Organisationsform die Städte für die Kunst im öffentlichen Raum bereitstellen. Das Wissen um die Kunst im öffentlichen Raum einer Stadtgesellschaft sollte gebündelt, dokumentiert und archiviert werden. Dazu gehört auch das Wissen um die organisatorischen Anforderungen, bürokratischen Prozesse, Finanzierungsmöglichkeiten und vieles mehr. Es sollte für die Akteur*innen der Stadt frei zugänglich sein, sodass nicht jede*r bei einem neuen Projekt mit der Ermittlung der Bedingungen ganz von vorne starten muss.
In unserer künstlerischen Praxis bevorzugen wir Projekte, die direkt in das stadträumliche Gefüge eingreifen und vorhandene Orte und Kontexte neu zur Diskussion stellen. Projekte dürfen gern einen eigenen unerwarteten Verlauf nehmen und unerwartete Erfahrungen ermöglichen. Wenn Gewohnheiten durchbrochenen werden, können Projekte gegen Passivität und erlernte Hilflosigkeit mobilisieren.
Der Kunst sollte daher jenseits des Nutzens ein eigener Freiraum zugedacht werden, der unbedingt kontroverse und ambivalente Momente einschließt und fördert. In einer Stadtgesellschaft entfalten gerade kontroverse Projekte eine große Wirkung und können helfen, Diskurse anzuregen und weiter zu bringen. Allerdings können unverstandene und schlecht vermittelte Werke auch zu Resignation gegenüber Kunst im öffentlichen Raum führen.