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26. September 2021 – Kurzbetrachtung: Klimawandel in der Kunst

So. 26.09. | ab 12.00 (bleibt digital verfügbar)
Kunst umgehen: Kurzbetrachtung
von Christiane Oppermann

Die Kurzbetrachtungen sind ein neues Format bei Kunst umgehen: Jeweils ein Mitglied des Vermittlungsteams lässt Sie teilhaben an Ideen, Assoziationen, Neuigkeiten und Meinungen zu Kunst in öffentlichen Räumen. Hier ist öffentlicher Raum für individuelle Perspektiven nicht nur auf einzelne Objekte oder Projekte in Hannover und der Welt, sondern auch auf Bezüge, Potentiale oder Defizite.

Klimawandel in der Kunst

von Christiane Oppermann

AlleFürsKlima

Unter dem Motto AlleFürsKlima haben sich am Freitag bundesweit mehr als 600.000 Menschen am globalen Klimastreik der Fridays-for-Future-Bewegung beteiligt. Menschen, die mit der Bundestagswahl auf eine Regierung hoffen, die endlich effektive Maßnahmen gegen die drastische Klimakrise unternimmt. Eine Hoffnung, die angesichts der Wahlprogramme im wörtlichen Sinne ‚grundlos‘ ist.

Zu den Streikenden und Sympathisant*innen gehören natürlich auch viele Künstler*innen und weitere im Kunst- und Kulturbetrieb Tätige, deren ökologische Fußabdrücke so wie die der Einrichtungen, für die sie tätig sind, immens sind. Ein interessanter Beitrag von Anja Reinhardt zum Thema Grüne Museen – Wie der Kunstbetrieb nachhaltiger werden will wurde am 18. Januar 2021 im Deutschlandfunk gesendet und ist hier online nachzulesen und -hören.

Welche Rolle spielt die Kunst?

Welche Rolle können Kunst und Künstler*innen im Kampf gegen den Klimawandel spielen? Gibt es hier so etwas wie eine Aufgabe der Kunst, die ja immer eine Auseinandersetzung und eine Reibung mit der Welt ist?

Viele Ausstellungen, Tagungen, Kultursendungen und Magazine widmen sich seit geraumer Zeit verstärkt diesem Thema. Das Magazin Kunstforum International lieferte 2019 im Band 258 Kunstnatur | Naturkunst – Natur in der Kunst nach dem Ende der Natur eine Bestandsaufnahme ästhetisch, technologisch und ökologisch motivierter künstlerischer Positionen und ging im Juni 2021 im Band 275 UTOPIA – Weltentwürfe und Möglichkeitsräume in der Kunst der Frage nach, wie wir diese Welt zu einem besseren Ort machen können – From no-where to now-here! – und was die Kunst dazu beitragen kann.

Konstruktive Zukunftsgestaltung braucht sicher kein Aussitzen über Legislaturperioden, aber doch Zeit, um so etwas wie eine Utopie entstehen zu lassen, die sich vielleicht im bewussten Innehalten und abseitigen Ins-Blaue-bauen zeigt. So folgert die Kunstwissenschaftlerin und Gastherausgeberin Ann-Katrin Günzel in ihrem lesenswerten Artikel UTOPIA – Der Traum von einer besseren Welt (Bd. 275, Seite 52 – 68):

„Utopien sind so vielfältig wie die Menschen, die sie visionieren. Auch wenn sie nicht eindeutig zu beantworten ist, so stellt sich die Frage, wie wir in Zukunft (zusammen) leben wollen, angesichts der aktuellen Herausforderungen immer dringlicher. Denn gerade die Pandemie hat uns mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass wir eigentlich keine andere Wahl haben, als neue Strategien und Konzepte von Gemeinschaft zu entwickeln, wenn wir nicht in einem dystopischen Szenario versinken wollen. Der Stillstand, der unsere frenetische Aktivität für den Moment ausgebremst hat, der uns social distancing und zum Teil großes Unglück und Ruin aufgezwungen hat, ermöglicht uns ein Innehalten, das Raum für ein Umdenken und neue Ideen eröffnet, für das Utopische. Ohne Zweifel erfordern der Klimanotstand und viele gesellschaftliche Probleme, die damit verbunden sind, aber auch unabhängig davon seit langem schwelen, keinen weiteren Aufschub, sondern sofortiges Handeln, dennoch sind langfristige Utopien eines gesellschaftlichen Zusammenlebens, welches für alle Lebewesen wertvoll und erstrebenswert ist, und in denen es nicht um eine schnelle Umsetzung, sondern um das stetige Nachdenken über Miteinander, Nähe, Nachhaltigkeit, Frieden und Fürsorge geht, das einzige, was wirkliche Veränderung und damit schon auf dem Weg dahin eine bessere Welt ermöglicht. „… Den utopischen Begriff zu finden, das Rechte, um dessentwillen es sich ziemt zu leben, Zeit zu haben, [dazu bauen wir] ins Blaue hinein und suchen dort das Wahre, Wirkliche, wo das bloß Tatsächliche verschwindet – incipit vita nova.“ (Ernst Bloch, Geist der Utopie, 1929)“

Zugegebenerweise fühle ich mich angesichts der komplexen Debatten und Diskurse, was die Rolle der Kunst und Künstler*innen im Kontext des Klimawandels angeht, zwiegespalten und finde den Gedanken, das Tatsächliche durch das Finden des Wahren verschwinden und neues Leben beginnen zu lassen, höchst reizvoll.

Kunst aus dem Tatsächlichen 

In der Installation Ice Watch (London, 2018) thematisierte der skandinavische Künstler Olafur Eliasson gemeinsam mit dem grönländischen Geologen Minik Rosing auf eindrucksvolle Weise die Auswirkungen des Klimawandels, indem er 24 riesige grönländische Eisblöcke auf dem Vorplatz der Tate Modern sowie sechs weitere Eisblöcke vor dem europäischen Hauptsitz des Medienunternehmens Bloomberg in London platzierte. Um die Folgen des Klimawandels  ‚begreifbar‘ zu machen, wurden die Blöcke im hohen Norden vom Eisschild abgebrochen, am Nuup Kangerlua Fjord aus dem Wasser gefischt und dann nach London transportiert. Besucher*innen der Installation konnten über Wochen beobachten und fühlen (!) wie sich die Eisblöcke auflösten. Das Londoner Projekt Ice Watch stand vor drei Jahren im Kontext der Climate Change Conference (COP24) in Katowice und forderte auf, für strengere Klima- und Umweltrichtlinien einzutreten.

[Ice Watch, Olafur Eliasson und Minik Rosing, Tate Modern, London 2018 (Foto: Tim White – CC BY-NC-SA 2.0)
[Ice Watch, Olafur Eliasson und Minik Rosing, Place du Panthéon, Paris 2015 (Foto: Unclimatechange – CC BY 2.0)]

Weitere Bilder finden Sie bei sculpture network.

Vergleichbare Ice-Watch-Installationen waren 2014 anlässlich des 5. Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) in Kopenhagen sowie 2015 in Paris vor dem Hintergrund der Klimakonferenz, die zum Pariser Abkommen führte, zu sehen.

Dass bei diesem Projekt 35 Tonnen CO2 freigesetzt wurden, ist die Kehrseite der beeindruckenden Installationen und stellt vielleicht auch die Frage nach der Freiheit der Kunst ‚um jeden Preis‘.

Klimakünstler*innen-Nachwuchs

Ähnliche Strategien wie Eliasson verfolgen auch der in Berlin lebende Schweizer Künstler Julian Charrière (geb. 1987, Studium bei Eliasson) sowie dessen Künstlerkollege Julius von Bismarck (geb. 1983), die ebenfalls extreme Orte aufsuchen, um das Material für ihre Kunst zu generieren.

Auch Charrière zog es zu den Polen, um mittels Drohne Eisberge ins Bild zu setzen und diese in einem wahnwitzigen Unterfangen mit einem Schweißbrenner zur Schmelze zu bringen, während Julius von Bismarck zu den kalifornischen Feuersbrünsten aufbrach, um dort das Rohmaterial für seine Videoarbeiten aufzunehmen, die derzeit in der Ausstellung FEUER MIT FEUER in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen sind.

Aber die beiden Künstler arbeiten auch zusammen. So bemalten sie 2011 auf der Biennale in Venedig Tauben, um den ‚fliegenden Ratten‘ eine andere, edlere Wahrnehmung zu verleihen. Tierschützer*innen reagierten verständlicherweise wenig begeistert und fanden es unverständlich, dass jemand, nur um mediale Aufmerksamkeit zu erregen, in den Lauf der Natur eingreift. In einem Beitrag des ARD-Kulturmagazins ttt – titel, thesen, temperamente zum Künstler Julian Charrière vom 1. März 2020 fällt die Beschreibung zur Tauben-Aktion poetischer aus: „Ein Kunstwerk, über die ganze Stadt verteilt und doch nicht greifbar.“

Wirklichkeit oder Wirksamkeit

So spektakulär und ästhetisch-schön die Ergebnisse der teilweise an Extremsport erinnernden künstlerischen Vorgehensweisen auch sind, frage ich mich doch auch, ob diese Werke das Bewusstsein der Betrachter*innen mehr berühren und zu mehr bewegen können, als es das reale Schmelzen, Brennen und damit verbundene Artensterben, oder das ‚farblose Flattern‘ kann?

Sind die aus realen Katastrophen für die Kunst gewonnenen Bilder und Videos nicht vielleicht auch einem Kunstmarkt und einer Marktförmigkeit geschuldet, die sich die Klimakrise als schaurig-schönes Phänomen und neues (altes) Genre einverleibt?

Fordert die extreme Weltlage, oder anders gesagt, brauchen die Menschen heute extreme Kunst?

Vielleicht ist es auch einfach eine bewährte, vom Publikum dankbar angenommene, künstlerische Strategie, nicht mit Zeigefinger-Kunst zu mahnen, sondern die Betrachter*innen über die (vordergründige) Schönheit der Bilder „zu mehr Verantwortung zu verführen“, so eine der Thesen, Meinungen und Perspektiven, die in der ZDF-Produktion Klimawandel in der Kunst 2020 behandelt wurden. Zu Wort kommen neben den beiden oben genannten Künstlern unter anderem auch der in Hannover bestens bekannte Soziologe Harald Welzer.

Wie es auch geht

Es gibt Künstler*innen, deren CO2-Bilanz/-Fußabdruck gegen Null geht. Einer von diesen ist Tino Sehgal (geb. 1976 in London). Der Künstler beschäftigt sich schon lange mit Nachhaltigkeit. Seine  Werke sind immateriell und flüchtig. Im Zentrum steht das Erleben der „Situation“ an sich. Sehgal bezeichnet sich selbst und seine Helfer*innen dabei nicht als „Performer*innen“, und das Geschehen nicht als „Performance“, da die Besucher*innen Teil des Werkes werden. Stattdessen spricht er von „Situation“ und „Interpret*in“. Auch darf es von seinen Arbeiten keine filmischen, fotografischen oder sonstigen Dokumentationen geben und es werden auch keine Einladungen zu Ausstellungen gedruckt oder Katalogtexte veröffentlicht. An- oder Verkäufe finden ausschließlich durch mündliche Verhandlungen mit dem Künstler statt und bleiben nur in der Erinnerung der Beteiligten bestehen.   

In einem Interview, das Frauke Schlieckau vom Magazin monopol mit ihm führte, spricht er über „Klimaschutz im Museum und die fehlende Vorbildfunktion der Kunst in Umweltfragen“. 


Jetzt wünsche ich Ihnen ein entspanntes Innehalten und freudvolle Visionen!

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