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Überblick: Kunst und Dazwischen

Do. 30.06. (bleibt digital verfügbar)
Kunst umgehen: Überblick
Kunst und Dazwischen

Im Format Überblick präsentiert Kunst umgehen immer wieder neue Perspektiven auf Kunst in öffentlichen Räumen, vor allem im Stadtraum der Landeshauptstadt Hannover: Durch ausgewählte Schwerpunkte ergeben sich Zusammenhänge und Herangehensweisen. Das wirft im Idealfall produktive Fragen auf, lässt gewohnte und antrainierte Selbstverständlichkeiten hinter sich. Das Thema Dazwischen, das Thomas Kaestle für diesen Überblick gewählt hat, könnte einerseits als Schablone für jede Kunst in öffentlichen Räumen dienen. Die ist ja immer zwischen irgendwas – Menschen, Gebäuden, Räumen, Situationen, Atmosphären, historischen Zuständen… Gemeint ist hier aber vor allem das Dazwischen als Potential, als Entscheidungsgrundlage, als Schwebezustand. Es geht unter anderem um mögliche neue Kunst, deren Standorte und Chancen. Aber auch um Strukturen und Konzepte: Soll Kunst behaupten oder begleiten, soll sie zu Diskursen beitragen oder für sich stehen, soll sie bleiben oder nur aufscheinen?

[Internationale Baubrigade Hornemann (u. a. Georg Winter): Hildesheimer Anbindung, Ecke Bernwardstraße/Kaiserstraße, Hildesheim, Beton, 2005 (im Rahmen eines Hochschulworkshops des Kunstverein Hildesheim, dessen künstlerischer Leiter Thomas Kaestle zu dieser Zeit war); im Jahr 2014 zerstört durch die Stadtverwaltung Hildesheim (Tiefbauamt).]

Überblick: Kunst und Dazwischen

[Eine diskursive Führung entlang stillgelegter und aktiver Gleise der Stadtbahnlinie 10 von Thomas Kaestle]

1. Aegidientorplatz

[Aegidienwald von Dominik Geilker und Stefanie Schmoll, Aegidientorplatz Hannover, 2006 installiert.]

Standort (Aegidientorplatz Hannover) auf Google Maps

Die Killerfrage vorneweg: Was definiert eigentlich Kunst im Stadtraum? Vor kurzem fragte mich nämlich eine Stadtmacherin, deren Meinung und Praxis ich sehr schätze, etwas ganz ähnliches: „Müssen wir denn alles, was kulturell in öffentlichen Räumen passiert, Kunst nennen?“ Das verweist vor allem auf aktuelle Urbanitäts-Diskurse, die zunehmend postdiziplinär geführt werden, in denen bildende und darstellende Künste, Architektur, Stadtentwicklung, Stadtsoziologie, kulturelle Teilhabe, Beteiligungsprozesse und Kommunalpolitik zu einer neuen Einheit verschmelzen. Das Berliner Haus der Statistik am Alexanderplatz (den ein großer Schriftzug auf dem Gebäude sehr treffend in Allesandersplatz umbenennt) ist ein gutes Beispiel dafür. Das Projekt ist eng verknüpft mit der – postdisziplinären, ganzheitlich argumentierenden und agierenden – Initiative Urbane Praxis, von deren Werkstattkonferenz Situation Berlin #1 ich im vergangenen Jahr in einer Kurzbetrachtung berichtete.

Hinter unserer Killerfrage steckt natürlich in Teilen auch die noch größere Frage danach, was Kunst denn wohl generell sei oder sein könne. Als Kunstvermittler sollte ich darauf antworten: Kunst ist, was Rezipient*innen als Kunst wahrzunehmen bereit und in der Lage sind. Als Kurator vielleicht eher: Kunst ist, was Künstler*innen als solche herstellen und bezeichnen. Als Kulturwissenschaftler könnte ich Niklas Luhmanns Systemtheorie ins Feld führen, die als Kunst kategorisiert, was durch entsprechende Code-Unterscheidungen zum Kunst-System gehört. Allerdings hat Luhmann diesen Code nie überzeugend geklärt (schön/hässlich erscheint ihm überholt und besonders/allgemein wirkt zu pauschal – was auch auf den Vorschlag interessant/langweilig anderer Autoren zutrifft).

Als Mitglied der temporären Kommission für Kunst im öffentlichen Raum der Landeshauptstadt Hannover, die zwischen 2005 und 2008 im Auftrag des Oberbürgermeisters alle Objekte im Innenstadtbereich für ein Gutachten evaluierte, war ich mit der Killerfrage konfrontiert, als wir bei unseren Vor-Ort-Begutachtungen am Aegidientorplatz angelangt waren. Wir standen vor der Installation Aegidienwald von Dominik Geilker und Stefanie Schmoll, suchten sie auf unserer Liste und konnten sie dort nicht finden. Ein Mitglied der Stadtverwaltung, das uns begleitete, erklärte uns, sie stehe nicht auf der Liste, weil es sich ja gar nicht um Kunst handle – die Urheber*innen seien schließlich Landschaftsarchitekt*innen. In der Tat waren sie sogar zum Zeitpunkt des Entwurfs noch Studierende der Landschaftsarchitektur und ihr Konzept hatte einen von Udo Weilacher initiierten Hochschulwettbewerb für den Standort gewonnen.

Als Kommission beantworteten wir die Killerfrage schließlich mit einer Mischung aus allen oben erwähnten Möglichkeiten: Das Studienfach der Konzeptautor*innen spielt keine Rolle, solange sie im Fall dieser Arbeit bewusst künstlerisch agieren und sie selbst als Kunst im öffentlichen Raum bezeichnen. Zudem ist vor allem wesentlich, wie Stadtnutzer*innen die Installation wahrnehmen: als künstlerischen Eingriff. Dabei ist unwesentlich, ob er ihnen gelungen erscheint oder nicht. Tatsächlich ist die Arbeit in Hannover umstritten. Ich mag sie allerdings – weil sie an einem Unort, einem Ort des Dazwischen (der Aegidientorplatz ist ja kein Platz, sondern eine belebte, zergliederte Straßenkreuzung) kein gefälliges, beliebiges Ornament hinzufügt, sondern ihn kommentiert und sogar in Teilen erst sichtbar und erlebbar macht. Die Windsäcke greifen das Thema kaum überschauberer, ständig wechselnder Richtungen auf, die im Verkehr der Großstadt kaum zu verfolgen sind.

Aus diesem Grund beginnt diese Führung am Aegidientorplatz, einem chaotischen, undefinierten Ort des urbanen, dynamischen Dazwischen – und übrigens zur lange vergangenen Zeit des Aegidientors als Teil der Stadtbefestigung ein Ort zwischen Stadt und Umland. Sie beginnt mit Künstler*innen und einer Arbeit zwischen Landschaftsarchitektur und bildender Kunst. Mit der Frage, was wir in der Stadt von heute und morgen zur Kunst im öffentlichen Raum zählen könnten oder sollten. Und damit auch mit der Frage nach dem möglichen Charakter einer zukünftigen Kunst: Soll sie behaupten oder begleiten, soll sie zu Diskursen beitragen oder für sich stehen, soll sie bleiben oder nur aufscheinen?

Im Gutachten, das ich 2008 für die Kommission verfasste, ist unser Vorschlag dokumentiert, die studentische Arbeit als temporäre Intervention zu begreifen – und als Auftakt einer Reihe, in deren Rahmen Studierende niedersächsischer Hochschulen den Standort als konzeptionelle Bühne jeweils für eines oder zwei Jahre bespielen, um dann nach zehn Jahren anhand guter Beispiele eine Diskussion zeitgenössischer Kunst im Stadtraum zu ermöglichen. Auch die Frage nach dem Temporären, zeitlich Begrenzten, Endlichen ist eine Frage des Dazwischen. In einer Kurzbetrachtung schrieb ich im vergangenen Jahr über Polaritäten von Kunst in öffentlichen Räumen. „Dauerhaft oder temporär“ war eine davon:

„Kunst im Stadtraum für die Ewigkeit zu installieren, ist ein Konzept, von dem viele Städte zunehmend abrücken. Dennoch ist die historische Kunst nun einmal da, definiert Orte und Räume und prägt Perspektiven. Das Stadtraumgedächtnis vieler Bürger*innen ist kurz: Dass ein Objekt im Laufe von Jahrzehnten mehrfach seinen Standort gewechselt hat, wird kaum erinnert – der aktuelle wird häufig absolut gesetzt. Viele Städte sind nahezu bis an Belastungsgrenzen angefüllt mit dauerhafter Kunst – die jeweils für Machtbehauptungen jener steht, die sie initiiert haben. Ist noch Platz für mehr? Liegt die Lösung in temporärer Kunst, die wieder verschwindet? Wie wertvoll ist die Erinnerung an etwas, das nicht mehr da ist, für die Wahrnehmung eines innerstädtischen Raums? Was geschieht mit Objekten, die einfach stehenbleiben? Was mit solchen, die so beliebt werden, dass sich eine Mehrheit ihr bleiben wünscht, obwohl sie temporär konzipiert wurden? Wann verliert Kunst ihre Lesbarkeit? Welche Lesehilfen kann es geben?“

2. Ehemalige Stadtbahn-Haltestelle Aegidientorplatz

[Die ehemalige Station Aegidientorplatz der Stadtbahn-Linie 10 und der Verlauf der Gleise in Richtung Prinzenstraße nach ihrem Rückbau und der Neugestaltung als Park.]

Standort (ehemalige Stadtbahn-Haltestelle Aegidientorplatz in Hannover) auf Google Maps

Hier gibt es keine Kunst zu erleben. Sie wurde nämlich bei der Neugestaltung des Standortes der ehemaligen Endhaltestelle der Stadtbahnlinie 10 (inklusive Hochbahnsteig), gleich neben dem Aegidientorplatz, gar nicht in Betracht gezogen. Entstanden ist ein kleiner Park zwischen den Fahrspuren des Schiffgraben, ein so unspektakulärer wie charmanter Ort der Ruhe mitten in einem stark befahrenen Teil am Rand der Innenstadt. Der Unort wurde zum Aufenthaltsort, hat sich aber den Charakter eines Zwischenortes bewahrt. Hätte ihm dabei Kunst gut getan? Hätte er sie gar gebraucht? Oder überhaupt ausgehalten?

Beim Erarbeiten des Gutachtens zum Status Quo der Kunst im Innenstadtbereich Hannover fiel uns immer wieder auf: Hier gibt es überdurchschnittlich viel Mittelstreifenkunst. Uns war deshalb wichtig: Nicht jeder Kreisverkehr oder jede Grünfläche sind gleich ein Platz – und nicht jeder Platz braucht oder verträgt Kunst. Hannover ist angefüllt mit historischen Objekten, die es zeitgenössisch zu vermitteln gilt, um ihre Alltagsrelevanz immer wieder neu herzustellen. Auch deshalb empfiehlt unser Gutachten, stärker auf temporäre Kunst zu setzen, auf gezielte Interventionen auf Zeit, auf soziale Prozesse und immaterielle, konzeptuelle Arbeiten. Ein weiteres Objekt auf einem Sockel braucht meiner Meinung nach in Hannover eine gute Argumentation. Ausgeschlossen ist es natürlich nicht.

Der hohe Anteil von Mittelstreifenkunst ist natürlich auch Hannovers Stadtentwicklung in der Nachkriegszeit geschuldet: Die autogerechte Stadt stellte den Individualverkehr in den Mittelpunkt städtischen Geschehens – entsprechend bot sich Kunst entlang wichtiger Verkehrsachsen oder des Cityrings an. Bestes Beispiel ist das Konzept der Skulpturenmeile zwischen Friederikenplatz und Königsworther Platz, vom Galeristen Robert Simon allerdings erst in den 1980er Jahren entwickelt, als solche Standorte für Kunst in anderen Großstädten längst als gescheitert galten. Im Gutachten steht dazu unter anderem:

„Als äußerst problematisch erscheint die Platzierung einiger Arbeiten auf dem Mittelstreifen (Grünfläche) einer sechsspurigen Fahrbahn. Eine solche Präsentation kann nur den wenigsten (meist ungewöhnlich großen) Objekten gerecht werden, alle übrigen können dabei ihre Wirkung nicht oder nur ungenügend entfalten. Sie können lediglich von weitem durch den fließenden Verkehr oder aber aus einem sich bewegenden Verkehrsmittel wahrgenommen werden. Selbst wenn es dem Betrachter gelingt, den Grünstreifen zu betreten, kann er die Arbeiten dort meist nicht einmal umrunden und ist in seiner Rezeption auf wenige Perspektiven reduziert, die an Straßenverlauf und Verkehr ausgerichtet sind.“

Exkurs:
[Stahl 17/87 von Erich Hauser, Brühlstraße Hannover, installiert 1987 als Teil der Skulpturenmeile.]

Exkurs:
[Alte Beschilderung im Dazwischen.]

Immer wieder fanden in Hannover als Gegenentwurf zur monumentalen Sockelkunst temporäre, interventionistische Projekte im Stadtraum statt, die von kleineren, alternativen Kunstvereinen oder Hochschulen organisiert wurden. Sie sind oft nicht zentral dokumentiert und deshalb ein wenig in Vergessenheit geraten. Da sich diese Führung entlang bestehender oder stillgelegter Gleise der Stadtbahnlinie 10 bewegt, bietet sich ein Verweis auf das Projekt linie 10 : von a nach b an, das der Kunstverein kik (kunst in kontakt) im Februar 2003 realisierte.

Der damalige Vorstandsvorsitzende der üstra Hannoversche Verkehrsbetriebe AG, Heinrich Ganseforth, schrieb im Katalog: „Das Kunstprojekt mit dem ebenso schlichten wie einleuchtenden Titel linie 10 : von a nach b sucht vermutlich weit über Hannover hinaus nach seinesgleichen. Denn der Raum, in dem hier Kunst gezeigt wurde, hat nichts museales, er flößt keine Ehrfurcht ein und erzeugt keine Schwellenangst. Der Raum für dieses Kunstprojekt war die Straßenbahn der üstra. Zu sehen waren vier ganz unterschiedliche Installationen, für die die üstra den Künstlern vier Fahrzeuge der Linie 10 zur Verfügung gestellt hat.“

Der veranstaltende Kunstverein kik (kunst in kontakt) beschrieb den Kontext so: „Kunst im Spannungsfeld des Öffentlichen-Personen-Nah-Verkehr im Wortsinne. Das Spiel mit dem Raum, dem Ort und dem Alltag. Die temporäre Aneignung dieses Feldes mit künstlerischen Mitteln. Und der Kontakt und die Kommunikation im Prozeß: innerhalb des Teams, mit den Künstlern, mit den Projektbeteiligten, den Fahrgästen und Passanten. Und mit allen miteinander.“

Exkurs:
[Cover des Katalogs zum Projekt linie 10 : von a nach b des Kunstvereins kik (kunst in kontakt) in Hannover – Download des gesamten Katalogs als PDF hier.]

Das Projekt hatte seine Basis in einem leerstehenden Ladenraum, den der Kunstverein kik (kunst in kontakt) seit dem Jahr 1997 für seinen Ausstellungsbetrieb nutzte, in der Limmerstraße in Linden-Nord ebenfalls an der Stadtbahnlinie 10 gelegen: dem Kunstraum Zehn, benannt nach der Hausnummer. Auch das Konzept dieses Raumes folgte, lange bevor künstlerische Zwischennutzungen in Hannover in einem größeren Maßstab durch die Agentur für kreative ZwischenRaumNutzung organisiert wurden, dem Prinzip maximaler Öffentlichkeit, wie der Kunstverein schrieb:

„Unser Ausstellungsraum in einer belebten Einkaufszone in Hannover-Linden. Seit 1997 haben wir hier über vierzig Ausstellungen mit Künstlern und Künstlerinnen aus dem In- und Ausland realisiert und präsentiert. Raum- und ortsbezogene Kunst an der Schnittstelle zum Alltag… Die Transparenz des Ortes, die großen Schau-Fenster und die Lage des Raumes sind die Basis unseres Konzeptes: Kunst geht in die Öffentlichkeit, Kunst wird jenseits des etablierten Kunstbetriebes erleb- und diskutierbar.“

Exkurs:
[Heute befindet sich im Ladenraum in der Limmerstraße 10 ein Backshop. Von 1997 bis 2002 zeigte der Kunstverein kik (kunst in kontakt) dort Ausstellungen im zwischengenutzten Kunstraum Zehn. Informationen und Bilder finden Sie hier unter den Navigationspunkten damals/kunstraum.]

Der Weg entlang der ehemaligen Gleise der Stadtbahnlinie 10, die im Bereich Schiffgraben bereits entfernt wurden, führt direkt in den Bereich der Prinzenstraße, in dem sich das Schauspielhaus Hannover befindet. Noch fast auf Höhe des Aegidientorplatzes trennt den Weg nur das alte Gebäude der NORD/LB vom Georgsplatz, auf dem sich eine Reihe historischer Kunstobjekte findet – aktuell bis Ende August aber auch ein temporäres Projekt der hannoverschen Gruppe Schwarmkunst mit dem Titel Ob(D)Acht – My Home is my Castle. Ästhetisch geht es eher kryptisch darum, PET-Flaschen mit Iris-Fotografien zu bekleben und mithilfe einer Drahtkonstruktion zu einer „Burg“ aus von innen beleuchteten „Augen“ zusammenzufügen.

Was ein wenig nach einem Horror-B-Movie-Plot aus dem 1960er Jahren klingt, bezieht sich thematisch wohl irgendwie auf Zusammenhänge zwischen Identität, Gesellschaft und Behausung. Dass das Pfand der Flaschen zum Abschluss an Wohnungslose gespendet werden soll, erscheint als marginales Detail – liegen die Projektkosten doch gewiss höher. Das Ganze könnte eine unangenehme Instrumentalisierung sozial Benachteiligter und Übersehener für die eigene künstlerische Verwirklichung sein – wäre der Kern des Projektes nicht, Aufmerksamkeit für genau diese Personengruppe zu erzeugen und sie ins integrierende Gespräch mit dem Rest der Bevölkerung zu bringen. Ob dies gelingt, kann wohl nur ein eigener Besuch auf dem Georgsplatz zeigen.

Exkurs:
[Das Schwarmkunstprojekt Ob(D)Acht – My Home is my Castle auf dem Georgsplatz Hannover.]

Exkurs:
[Das Schwarmkunstprojekt Ob(D)Acht – My Home is my Castle auf dem Georgsplatz Hannover.]

3. Prinzenstraße

[Die Prinzenstraße in Hannover mit stillgelegten Stadtbahngleisen, dem Schauspielhaus und einem Ankündigungsbanner für das Projekt Städtoskoop.]

Standort (Prinzenstraße in Hannover) auf Google Maps

In jenem Teil der Prinzenstraße angelangt, in dem sich das Schauspielhaus Hannover befindet, prägen die alten, nicht mehr benutzten Stadtbahngleise noch das Erscheinungsbild der Straße. Das sieht auf aktuellen städtebualichen Entwürfen, die im Rahmen des Innenstadtdialogs der Landeshauptstadt Hannover veröffentlicht wurden, bereits ganz anders aus, zum Beispiel hier:

[Entwurf für die Prinzenstraße, im Rahmen des Innenstadtdialogs der Landeshauptstadt Hannover veröffentlicht. Quelle im Kontext dieser Website.]

Wo auf dem Entwurf ein Lichtdesign-Objekt zwischen den Häusern über der Straße hängt, hängt im Heute ein Banner, das für ein Beteiligungs-Kulturprojekt im kommenden September und Oktober wirbt: Es trägt den mehrfach um die Ecke gebogenen Namen Städtoskoop, verweist also aufs Zu- oder Abhören und zugleich auf den Faktor der Kooperation, also eines Einbeziehens auf Augenhöhe. Auf der oben verlinkten Website kündigt die Landeshauptstadt Hannover das Projekt folgendermaßen an:

„Der Ursprung des Städtoskoops ist die Idee für einen mobilen Konzertsaal aus Hannovers Kulturhauptstadtbewerbung. „Die Mini-Elphi haben wir im Zukunftsplan Kultur nun zusammen mit dem Initiator Thomas Posth zum Städtoskoop weiterentwickelt“, erläutert Kulturdezernentin Konstanze Beckedorf. Thomas Posth sagt dazu: „Mir war es wichtig, im Nachklang der Kulturhauptstadtbewerbung jetzt wirklich mal einen konkreten Raum zu schaffen, der von unterschiedlichsten Menschen genutzt und gefüllt werden kann.“ Mit dem Tourneestart des Städtoskoops vor dem Schauspielhaus wird auch das im Kulturmanagement der Stadt betreute Projekt Kulturdreieck als Teil des Innenstadtdialogs in den Fokus gestellt. „Mit Interventionen im öffentlichen Raum wollen wir überraschende und neue Perspektiven für die Nutzung innerstädtischer Räume eröffnen“, so Melanie Botzki, Kulturmanagerin der Stadt.

Dabei machen die Organisator*innen kein Geheimnis daraus, dass der Raum für das Projekt, eine semitransparente Blase, die in den Anhänger eines Transporters passt, die Orte erobern und für kurze Zeit prägen kann, keine eigene Erfindung ist, sondern die des Architektur-, Stadtentwicklungs- und Kulturkollektivs raumlaborberlin. Die Erfinder*innen setzen den mobilen Begegnungs- und Kommunikationsort seit vielen Jahren erfolgreich als Küchenmonument ein – der Name rührt daher, dass raumlaborberlin gerne gemeinsam mit Menschen kocht und isst, um ins Gespräch zu kommen. 2008 habe ich das erstmals in Hannover erlebt, damals war das Küchenmonument vom Kulturzentrum Pavillon auf den Weißekreuz- und den Andreas-Hermes-Platz eingeladen worden – als KulturLabor.

Diesmal heißt das Küchenmonument also Städtoskoop, was absolut legitim ist, und dient als mobiler Raum für Kultur zum Zweck der Bürger*innenbeteiligung. Thomas Posth, Gründer und Leiter des Orchester im Treppenhaus und Mitglied des künstlerischen Teams der hannoverschen Kulturhauptstadtbewerbung, wird das Projekt als Initiator zweifellos mit spannenden Inhalten zu füllen wissen – seine Herangehensweise an orts- und situationsspezifische Projekte erläuterte er Kunst umgehen 2020 in einem Forum. Doch der Raum an sich ist ebenfalls ein Hauptdarsteller, nicht nur Mittel zum Zweck.

Das Küchenmonument ist schützende Hülle und sensible Membran, es verortet Diskurse, indem es sich Umgebungen zu eigen macht, und es lässt Kommunikation nach außen dringen, schottet Akteur*innen nicht ab. Vor allem ist das Küchenmonument aber auch eine Skulptur mit eigenständiger Ästhetik. Über all dies hat sich Kunst umgehen 2020 auch mit Benjamin Foerster-Baldenius in einem Forum unterhalten, Gründungsmitglied von raumlaborberlin und ebenfalls Mitglied des künstlerischen Teams der hannoverschen Kulturhauptstadtbewerbung. Bleibt die Frage: Ist das Kunst im öffentlichen Raum? Sollte es so genannt werden? Worin läge der Mehrwert eines postdisziplinären, ganzheitlichen Umgangs mit solchen Projekten?

Exkurs:
[Das Küchenmonument von raumlaborberlin 2008 als KulturLabor auf dem Andreas-Hermes-Platz. Eine Dokumentation des Projekts finden Sie als PDF hier.]

Das so genannte Kulturdreieck zwischen Schauspielhaus in der Prinzenstraße, Künstlerhaus in der Sophienstraße und Opernhaus soll ebenfalls eine wichtige Rolle im Innenstadtdialog der Landeshauptstadt Hannover spielen. Das Schauspielhaus will sich dabei nicht nur zur Prinzenstraße hin stärker öffnen, auch der gemeinsame Hof mit dem Künstlerhaus (und damit dem Kunstverein Hannover) wird eine Rolle spielen. Dieser Hof ist bereits jetzt ein häufig genutzter Zwischenraum. Aktuell findet dort noch das Sommertheater Was ihr wollt statt, bis vor kurzem hatte sich die Kantine des Schauspiel Hannover den Raum mit öffentlichen Angeboten erobert.

Im Jahr 2020 unterhielten wir uns in einem Forum für Kunst umgehen mit der Intendantin des Schauspiel Hannover, Sonja Anders, über zwei künstlerische Arbeiten, die am Rande dieses multifunktionalen Zwischenraums koexistieren, an einem Unort, an dem Theaterbesucher*innen in Pausen rauchen. Der Ursprung dieser Arbeiten liegt weit auseinander, ihre Konzeption noch weiter – und doch sind sie in ihren komplexen Bezügen zur griechischen Mythologie und zu heutigen Übertragbarkeiten verwandt. In einer Nische steht zum einen Kurt Lehmanns Kassandra, auch Attische Figur betitelt. In den 1960er Jahren entwarf er sie für Hannovers neues Schauspielhaus – das jedoch erst 1992 eröffnet wurde. Sonja Anders ist seit der Spielzeit 2019/20 dort Intendantin. Sie ließ ganz in der Nähe eine Leuchtschrift der Künstlerin und Bühnenbildnerin Katja Haß mit einem Zitat von Euripides installieren: LEBE und Rette.

Lehmanns Kassandra steht nicht zufällig so weit am Rande des Geschehens, mit Blick über das vielfältige Treiben im Hof: Sie wurde dorthin verbannt, um im Mittelpunkt offener Räume nicht zu stören. Nur wenige Menschen wissen um den Standort. Vermutlich wissen noch weniger um die roten Fäden, die Kurt Lehmann als Hannovers Stadtkünstler der 1950er und 1960er Jahre bis heute mit über 30 verbliebenen Arbeiten im gesamten Stadtraum hinterlassen hat – oder um die Geschichten um seinen Sohn Hans-Peter Lehmann, der 1980 bis 2001 Intendant der Staatsoper Hannover war, der die Aufstellung von Kassandra initiierte und der 1950 als Jugendlicher seinem Vater für einen der Türgriffe des Opernhauses Modell stand. LEBE und Rette wiederum ist vom Theaterfoyer aus, also aus dem Innenraum, besser zu sehen als vom Hof aus: ein Zwischendasein. Die Bezüge sind eher zufällig, aber mächtig. Sie gewinnen möglicherweise durch ihre Beiläufigkeit.

Exkurs:
[Der Innenhof zwischen Schauspielhaus Hannover und Künstlerhaus Hannover, hier mit den aktuellen temporären Aufbauten zum Sommertheater Was ihr wollt.]

Exkurs:
[Kassandra/Attische Figur von Kurt Lehmann im Hof des Schauspielhauses Hannover, entworfen 1962, aufgestellt 1992.]

Exkurs:
[LEBE und rette von Katja Haß im Hof des Schauspielhauses Hannover, installiert 2019.]

In einem Winkel hinter der Cumberlandschen Galerie, wo sich der Zugang zu den Werkstätten des Schauspiel Hannover befindet, lohnt ein Blick nach oben. Auf einer Dachfläche steht eine Madonna und macht den Zwischenraum zu einer Art Herrgottswinkel. Sie war Requisit einer Produktion in der Spielstätte Ballhof und wurde vor Jahren von Bühnentechnikern auf dem Dach installiert. Eine Laune? Dekoration? Eine (pseudo)religiöse Geste? Oder eben doch Kunst? Als Kunst gemeint? Oder gelesen? Braucht sie diese Bezeichnung? Sollte ihr Standort öffentlich sein? Oder will sie als Intervention entdeckt werden?

Exkurs:
[Madonna auf dem Dach des Schauspielhauses Hannover, vor Jahren von Bühnentechnikern aufgestellt.]

4. Ernst-August-Platz

[Musikgulli von Timm Orth und Hille von Seggern am Rand des Ernst-August-Platzes in Hannover, installiert 2000.]

Standort (Ernst-August-Platz in Hannover) auf Google Maps

Die Linie 10 verlief vor der Verlegung der Endhaltestelle neben den Raschplatz am Rande des Ernst-August-Platzes vor dem Hauptbahnhof – und trennte den Bahnhofsvorplatz dabei von der Fußgängerzone in Richtung Innenstadt ab. Heute sind die Gleise auf dem Ernst-August-Platz nicht mehr zu sehen. An ihrer Stelle verläuft eine Busspur. Bereits seit der Neugestaltung des Platzes im Jahr 2000 befindet sich an dessen Rand auch eine unsichtbare Intervention, der Musikgulli. Er sieht aus wie die anderen Gullis daneben, der Eingriff ist jedoch zu hören: Von unten dringen regelmäßig wechselnde Musikprogramme, jeweils eines für den Tag und eines für die Nacht.

Die Intervention ist bekannt und beliebt in Hannover, DJ ist seit vielen Jahren der inzwischen pensionierte Leiter des Teams Kultur der Region Hannover, Uwe Kalwar (wenn er nicht gerade eine*n Gast-DJ*ane eingeladen hat), die Ansprechpartnerin für das Projekt sitzt im Kulturbüro Hannover. Und doch ließe sich hier genau die gleiche Frage stellen wie eingangs am Aegidientorplatz. Denn die Konzeptautor*innen sind der Architekt und Stadtplaner Timm Orth und seine Partnerin, die Architektin, Stadtplanerin und Freiraumplanerin Hille von Seggern, die lange Zeit eine Professur für Freiraumentwicklung am Institut für Freiraumplanung der Leibniz Universität Hannover innehatte. Sie beschreiben das Konzept auf ihrer Website.

Der Musikgulli ist ein Detail ihrer Planung für den Ernst-August-Platz. Handelt es sich also um Kunst? Und ist die Frage wichtig? Ist sie nützlich? Welche Zuständigkeiten ergeben sich in der Stadtverwaltung daraus? Als was nehmen Passant*innen das Element der Platzgestaltung wahr? Aber so gut die Idee ist und so gut das Ergebnis funktioniert: Was würde geschehen, wenn bei Platzgestaltungen gar keine Künstler*innen mehr einbezogen würden – weil die Stadtplaner*innen das alles selbst genauso gut können?

[Busspur am Rand des Ernst-August-Platzes in Hannover, nach Entfernung der Stadtbahn-Gleise.]

Ganz in der Nähe des Musikgulli befindet sich seit kurzer Zeit ein großes Relief der Innenstadt mit dem Titel Hannover zum Fühlen, Sehen und Begreifen. Es sei eine Initiative des Lions Club Hannover, ist darauf zu lesen und auch die Förderer (Stiftungen, ein Unternehmen und die Landeshauptstadt Hannover) – der Name des oder der Bildhauer*in hingegen nicht. Vielleicht handelt es sich gar nicht um Kunst. Als Auftragsarbeit ist es wohl eher Kunsthandwerk. Interessant ist dabei aber der Vergleich mit einem ähnlichen Relief der Domäne Marienburg, dem Standort des Fachbereichs Kulturwissenschaften der Universität Hildesheim. Es wurde gestaltet vom Künstler Otto Almstadt, der in der Nähe lebt und arbeitet. Von ihm finden sich auch im öffentlichen Raum Hannovers Arbeiten, zum Beispiel die Skulptur Kontakte auf dem Theodor-Lessing-Platz. Macht dieser Umstand das Hildesheimer Relief zur Kunst?

[Relief Hannover zum Fühlen, Sehen und Begreifen am Rand des Ernst-August-Platzes in Hannover.]

[Relief Hannover zum Fühlen, Sehen und Begreifen am Rand des Ernst-August-Platzes in Hannover.]

[Relief/Plastik Kulturcampus der Stiftung Universität Hildesheim von Otto Almstadt am Eingang zur Domäne Marienburg.]

Bei einer Betrachtung von Zwischenzuständen auf dem Ernst-August-Platz sollte die Frage nach dessen Status nicht fehlen. Handelt es sich überhaupt um einen öffentlichen Raum? Der Platz gehört nämlich zum Gelände des Hauptbahnhofs – und unterliegt der Hausordnung, die an zahlreichen Lichtmasten unübersehbar aushängt. Die Deutsche Bahn übt hier ihr Hausrecht aus, legt fest, was erlaubt und verboten ist, kann Platzverweise aussprechen und kommerzielle Aktivitäten zulassen oder beauftragen. Zwar kann zunächst jede*r den Raum betreten, ohne durch sichtbare Zugangsschranken oder Barrieren daran gehindert zu werden. Dies ist jedoch mit einem Akzeptieren der Hausordnung verbunden.

In der Regel ist in solchen Fällen die Rede von einem halböffentlichen Raum. Echte öffentliche Räume werden in Städten – vor allem in Innenstädten – immer seltener. Nicht zuletzt deshalb ist eine Forderung jener, die aktuell versuchen, die Innenstadt Hannovers neu zu denken und zu gestalten, Aufenthaltsqualität durch mehr konsumfreie Räume zu erreichen.

[Hausordnung der Deutschen Bahn auf dem Ernst-August-Platz in Hannover.]

5. Niki de Saint Phalle Promenade

[Niki de Saint Phalle Promenade zwischen Kröpcke, Hauptbahnhof, Raschplatz und Andreas-Hermes-Platz.]

Standort (Niki de Saint Phalle Promenade in Hannover) auf Google Maps

Die französiche Künstlerin Niki de Saint Phalle hat in der öffentlichen Wahrnehmung der Hannoveraner*innen eine erstaunliche Karriere hinter sich. Wurde sie 1974 vor und bei der Aufstellung ihrer Nanas am Leibnizufer noch von vielen angefeindet, kann man Nachbildungen ihrer Objekte inzwischen als Schlüsselanhänger, Briefbeschwerer und Krawattennadeln erwerben, sie ist seit dem Jahr 2000 Ehrenbürgerin der Landeshauptstadt – und seit 2002 heißt die Fußgänger*innen-Unterführung zwischen Kröpcke und Raschplatz nicht mehr Paserelle, sondern Niki de Saint Phalle Promenade.

Die Proteste gegen die Nanas führten unter anderem zum Ende des Experiments Straßenkunst in Hannover. Oberstadtdirektor Martin Neuffer hatte 1970 angekündigt, man wolle ergebnisoffen prüfen, ob ein vermehrtes Platzieren von Kunst im Stadtraum („wie Bäume“) einen Bewusstseins- und Bildungsprozess auslösen könne und würde. 1974 mussten Beobachter*innen zunächst feststellen: Das war wohl nicht geschehen. Sie übersahen, dass de Saint Phalles Provokation eine öffentliche Auseinandersetzung über Kunst ausgelöst hatte, deren Umfang in Hannover seither nie wieder erreicht wurde. Im Nachhinein ist das kaum zu unterschätzen.

Die Bewusstseins- und Bildungsprozesse haben schließlich nur länger gedauert, zumindest bis zu einer völligen Akzeptanz der Nanas. Haben diese dabei ihre eigentliche Bestimmung erfüllt und damit verloren? Vermögen sie heute noch etwas in Betrachter*innen auszulösen – jenseits von historischer Wertschätzung? Wie müsste oder könnte Kunst im Stadtraum aussehen, die heute Auseinandersetzungen und Bewusstseinsprozesse in Gang setzt, die mit Avantgarde, Unerhörtem und vermeintlich Obszönem provoziert und erst auf langen Umwegen integriert statt den Weg des geringeren Widerstandes zu gehen?

Auch die Paserelle hatte ihre eigentliche Bestimmung schnell verloren. Hannes Adrian, 1975 bis 1993 Stadtbaurat der Landeshauptstadt Hannover, war bereits ab 1963 Leiter der Arbeitsgruppe Sonderplanung und damit städtebaulicher Betreuer des U-Bahn-Baus. Er hatte bereits 1966 die Idee, auf dem Deckel der U-Bahn unter dem Hauptbahnhof hindurch auf Ebene -1 eine Passage für Fußgänger*innen einzurichten, die erlaubte, den Bahnhof ohne ein Zugticket oder eine Bahnsteigkarte zu durchqueren, die damals noch Bedingung für das Betreten des Gebäudes waren. So sollte die Innenstadt an den Bereich hinter den Bahnhof und die ebenfalls in Planung befindliche Fußgängerzone in der Lister Meile angeschlossen werden.

Kaum war der Bau der Paserelle im Anschluss an den U-Bahn-Bau, der in diesem Bereich 1975 fertiggestellt wurde, beendet, schaffte die Deutsche Bundesbahn die Bahnsteigkartenpflicht ab: Ab sofort konnte der Hauptbahnhof auch ebenerdig durchquert werden. Was blieb, war die Paserelle als Flanier- und Einkaufspassage, ursprünglich mit mehr verzweigten Zugängen als heute, deutlich mehr Ladenfläche – und bald auch sozialen Verwerfungen und Kriminalität. Allerdings auch mit mehr Kunst, von der heute nur das Objekt Nessi von Stefan Schwerdtfeger geblieben ist. Inwieweit die in den 1970er Jahren konzipierte Kunst am Bau eher den Charakter von Ornament und Dekoration hatte, bleibt in der Rückschau abzuwägen.

Auch die Nessi ist vor allem affirmativ, fügt sich ein, macht Spaß, lädt Kinder zum Beklettern ein oder wird beim schnellen Durchqueren gar nicht wahrgenommen. Dabei ist interessant, dass ihr Schöpfer wiederum ein Architekt war, Stefan Schwerdtfeger – zwar mit künstlerischem Studienschwerpunkt, aber doch zunächst Entwurfsarchitekt im Hochbauamt, später Dozent für Innenarchitektur an der Werkkunstschule Hannover und schließlich Professor für Modellieren und Experimentelles Gestalten an der Technischen Universität Hannover im Fachbereich Architektur. Schwerdtfeger arbeitete zwischen Architektur und Kunst. Er schuf im Jahr 2008 auch das Leibnizdenkmal in Hannovers Georgstraße, das bis heute umstritten ist, da es ohne Wettbewerb oder Jury und an unserer zu dieser Zeit an einem Gutachten zum Status Quo der Kunst im öffentlichen Raum arbeitenden Kommission vorbei privat beauftragt wurde – und in den Augen vieler hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Kunst? Gestaltung? Kunsthandwerk? Architektur? Dazwischen?

[Niki de Saint Phalle Promenade zwischen Kröpcke, Hauptbahnhof, Raschplatz und Andreas-Hermes-Platz.]

[Zwischensituation in der Niki de Saint Phalle Promenade zwischen Kröpcke, Hauptbahnhof, Raschplatz und Andreas-Hermes-Platz.]

[Leerstand in der Niki de Saint Phalle Promenade zwischen Kröpcke, Hauptbahnhof, Raschplatz und Andreas-Hermes-Platz.]

[Nessi von Stefan Schwerdtfeger in der Niki de Saint Phalle Promenade unter dem Hauptbahnhof Hannover.]

Exkurs:
[Leibnizdenkmal von Stefan Schwerdtfeger in der Georgsstraße in Hannover, 2008 aufgestellt.]

6. U-Bahn-Station Hauptbahnhof

[Jet – Untergrund von Jean Dewasne, U-Bahn-Station Hauptbahnhof, installiert 1975.]

Standort (U-Bahn-Station Hauptbahnhof in Hannover) auf Google Maps

Die U-Bahn-Station unter dem Hauptbahnhof Hannover wurde 1975 fertiggestellt – da war das Experiment Straßenkunst bereits seit einem guten Jahr nach der Aufstellung der Nanas von Niki de Saint Phalle beendet worden. Die Planungen jedoch fielen mit dem ambitionierten Programm für Kunst im Stadtraum zusammen. Es war also schnell klar, dass die Gestaltung der zentralen Station durch einen internationalen Künstler erfolgen sollte. Einige wurden angefragt – angeblich sogar Roy Lichtenstein. Schließlich erfolgte ein Auftrag an den französischen Künstler Jean Dewasne, der zu den Neuen Realisten zählt, Erfahrung mit großen Flächen hatte und zum Beispiel im Jahr 1968 an der Kunstbiennale in Venedig teilgenommen hatte. Er lieferte Entwürfe, nach denen die beiden Außenwände der Station gestaltet wurden. Selbst war er an der Umsetzung wohl nicht beteiligt.

Die mit Autolack bearbeiteten Holztafeln erweisen sich als ausgesprochen dauerhaft: Sie wurden in fast 50 Jahren nie restauriert und haben sich dennoch bis heute ihre Leuchtkraft erhalten. Noch immer prägen sie mit abstrakten Assoziationen an Geschwindigkeit und Bewegung diesen sehr prominenten Ort des Dazwischen, an dem Stillstand die Ausnahme ist. Ob sie dabei von den Passagier*innen der Stadtbahnen als Kunst oder als Design wahrgenommen werden? (Oder eben gar nicht…?) Eine solche Kategorisierung ist immer auch abhängig von den ästhetischen Konventionen und Sehgewohnheiten ihrer Zeit. In 50 Jahren kann hier so manches in Bewegung geraten.

[Jet – Untergrund von Jean Dewasne, U-Bahn-Station Hauptbahnhof, installiert 1975.]

Kein Geheimnis, aber doch deutlich weniger bekannt als die Wandgestaltung in der Station Hauptbahnhof, ist der Umstand, dass sie eigentlich noch weitläufiger ist als zunächst sichtbar. Ein Teil der Station, der einst für die sogenannte D-Strecke geplant worden war, befindet sich bis heute im Zwischenstadium der Bauvorbereitung unter der genutzten Station. Durch die neue Streckenführung der Linie 10 und den Bau der neuen Endhaltestelle neben dem Raschplatz wird diese Station wohl niemals genutzt werden. Sie ist in Hannover auch als „Geisterstation“ bekannt. Sie wurde in der Vergangenheit bereits für Ausstellungen genutzt. Im Rahmen der Bewerbung Hannovers als Kulturhauptstadt Europas 2025 entstand für diesen Ort zwischen den Räumen und Zeiten das Konzept Mind The Gap. Dazu steht im zweiten Bewerbungsbuch auf Seite 47:

„Diese gespenstische Dysfunktionalität sehen wir als symbolischen Denkraum für die Zukunft Europas. Denn wie die Geisterstation scheint auch Europa in vielen Dingen festzustecken. Klimawandel, Migration, Europäische Integration – es bewegt sich nichts, obwohl alle Werkzeuge dafür da wären. Um Europa wieder aus diesen Sackgassen zu holen, braucht es neue, positive Perspektiven. Genau hierfür wird der Künstler Heiner Goebbles die Geisterstation mit einer multimedialen Rauminstallation bespielen. Bekannt ist Goebbels für seine musiktheatralen Kompositionen und sinnlichen Installationen aus Text, Bild, Musik, Licht und Bewegung. Für seine Installation wird er mit seinem künstlerischen Partner René Liebert zusammenarbeiten, und die Geisterstation durch Spiegelungen, Lichteinfällen, Projektionen und Klangskulpturen derart inszenieren, dass sie man mit einem neuen Blick auf Europa verlassen wird.“

[Rohbau/Bauvorbereitung für eine weitere Linie in der U-Bahn-Station Hauptbahnhof unter der in Betrieb befindlichen Station, auch als „Geisterstation“ bekannt. Foto: MarkusH (CC BY-SA 3.0)]

7. Raschplatz

[Raschplatz Hannover]

Standort (Raschplatz in Hannover) auf Google Maps

Heute ist der Raschplatz als nördliches Ende der Niki de Saint Phalle Promenade und als offener, tiefergelegener Platz mit – nach der baulichen Neugestaltung zwischen 2008 und 2010 – großen Freitreppen vor allem eines: Problemraum, Unort, städebauliche und soziale Schwachstelle im Gefüge der Innenstadt. Er ist Treffpunkt von Trinker*innen, Wohnungslosen und Drogenabhängigen – für viele andere Stadtnutzer*innen ist er eher ein Angstraum, den es zügig zu überqueren gilt, ein Durchgangs- und Zwischenraum der unangenehmeren Art.

Nun ist es kein Geheimnis, dass sich marginalisierte Gruppen in der Stadt durch bauliche Eingriffe und Ordnungsmaßnahmen bisweilen verlagern lassen, nicht jedoch vertreiben. Wo sollen sie denn auch hin, wenn es im Stadtraum keinen Platz für sie als Gemiedene gibt? Würde es also gelingen, durch bauliche Eingriffe oder auch durch kulturelle Bespielungen (einen Sommer lang war zum Beispiel eine Open-Air-Bühne mit Musikprogramm auf dem Raschplatz aufgebaut) ein neues, anderes Publikum anzulocken? Die bisherigen Nutzer*innen müssten sich zwangsläufig neue Orte in der Nähe (und damit auch in Bahnhofsnähe) suchen.

[Raschplatz Hannover]

Ein Objekt der Kunst im öffentlichen Raum ist mit der Neugestaltung des Raschplatzes allerdings verschwunden: Der Raschplatzbrunnen des Künstlers Joachim Wolff befand sich hier seit 1977. Er wurde im Vorfeld des Umbaus vor ein Senior*innenheim in Kleefeld verlagert.

[Ehemaliger Standort des Raschplatzbrunnen von Joachim Wolff (1977 bis 2008).]

Auch eine andere künstlerische Arbeit am Rande des Raschplatzes, an die sich viele bereits gewöhnt hatten (was immer ein guter Grund für eine Veränderung ist), wurde an einem neuen Standort installiert: Die Lichtinstallation wir-kl-ich des hannoverschen Künstlers Timm Ulrichs war viele Jahre lang durch die dem Raschplatz zugewandten Scheiben der Kantine unter dem 17-stöckigen Hochhaus der Sparkasse Hannover zu sehen und leuchtete abends ihre Bezüge in Richtung sozialem Brennpunkt. wir und ich als Spiralen, an deren Berührungspunkt Dinge wir-kl-ich werden – das ließ sich als Kommentar zu einer Gesellschaft lesen, in der viele an der individuellen Gewichtung von Gemeinschaft und Ego leiden und verzweifeln.

Seit 2018 befindet sich die Arbeit im Eingangsbereich des Sprengel Museum, wo sie zwar noch von weitem bis zur Glasfront und damit nach draußen zu leuchten vermag – im definierten Kunstraum Museum wird sie allerdings abstrakter, verliert unmittelbare Bezüge, die sie am Raschplatz etablieren konnte.

Exkurs:
[Lichtinstallation wir-kl-ich von Timm Ulrichs im Sprengel Museum Hannover seit 2018, zuvor in der Kantine der Sparkasse Hannover am Raschplatz.]

Exkurs:
[Lichtinstallation wir-kl-ich von Timm Ulrichs im Sprengel Museum Hannover seit 2018, zuvor in der Kantine der Sparkasse Hannover am Raschplatz.]

Exkurs:
[Lichtinstallation wir-kl-ich von Timm Ulrichs im Sprengel Museum Hannover seit 2018, zuvor in der Kantine der Sparkasse Hannover am Raschplatz.]

Timm Ulrichs hat sich in seinen künstlerischen Arbeiten immer wieder als ein Meister des Ambivalenten, Kippenden, des Dazwischen erwiesen. Deshalb sei an dieser Stelle erlaubt, gedanklich noch einige Meter weiter am Sprengel Museum entlang zu gehen, bis zur umstrittenen Fassade des Erweiterungsbaus des schweizer Architekturbüros Meili & Peters („Bunker“, „Sarg“, „Brikett“). Ulrichs hat ein Stück Musterfassade aus dessen Entstehungsprozess bewahrt und der Öffentlichkeit als Ready Made zugänglich gemacht – als eigenständige und freistehende Skulptur, als konserviertes Dazwischen.

Die Musterfassade steht seit 2015 in einem Waldstück in der Nordheide: Die Landeshauptstadt schenkte die Arbeit mit der Hilfe von Förderern der kleinen Gemeinde Jesteburg, in deren Nähe sich die Kunststätte Bossard als (wegen nationalsozialistischer Verstrickungen ihres Erbauers ebenfalls umstrittenes) Gesamtkunstwerk und Museum befindet. Dort war das Objekt Teil der Kooperationsausstellung Timm Ulrichs: des großen erfolges wegen zum 75. Geburtstag des Künstlers.

Die Kunststätte Bossard schreibt auf ihrer Website: „Immanent ist darin auch der Gegensatz zwischen Peripherie und Zentrum enthalten. Er wurde in der – vom Künstler durchaus bewusst herbeigeführten – Situation auf die Spitze getrieben, dass der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, der zur Vernissage am 25. Juni 2015 anreiste, das Sprengel Museum gleichermaßen schon in Jesteburg eröffnete, bevor er am 19. September der Erweiterungsbau des Museums in Hannover feierlich einweihte.“

Exkurs:
[Erweiterungsbau des Sprengel Museum Hannover von Meili & Peters, 2015.]

Exkurs:
[Musterfassade von Timm Ulrichs bei der Kunststätte Bossard in Jesteburg, 2015 installiert.]

Exkurs:
[Musterfassade von Timm Ulrichs bei der Kunststätte Bossard in Jesteburg, 2015 installiert.]

Timm Ulrichs‘ Arbeit wir-kl-ich ist aus der Kantine der Sparkasse Hannover allerdings nicht verschwunden, ohne dass ihre Nachfolge geklärt gewesen wäre. Seit 2018 befindet sich dort die Lichtinstallation Transparentgetrennt Szenen der Gier und Güte von Claudia Piepenbrock, installiert als leuchtende Einzelbuchstaben im obersten Fünftel der Glasfront. Von außen endet der Satz auf Gier, von innen auf Güte. Die Arbeit ist ortsspezifisch entstanden für ein Geldinstitut, das an dieser Stelle seiner Architektur nur durch eine Glasscheibe getrennt ist von einem sozialen Brennpunkt. Das ist pointiert und mutig. Und so beiläufig, dass die Kunst hier – im positiven Sinne – fast verschwindet.

[Kantine der Sparkasse Hannover am Raschplatz mit der Lichtinstallation Transparentgetrennt Szenen der Gier und Güte von Claudia Piepenbrock, installiert 2018 – besser zu sehen auf der Website der Künstlerin.]

Am nördlichen Ende des Raschplatzes wird er einige Meter weit von der Raschplatzhochstraße überdacht. Dort haben sich die Szenen der Wohnungslosen und der Drogenabhängigen aktuell parallel eingerichtet, ein Durchqueren dieses öffentlichen Raums kostet Überwindung. Ausgerechnet hier lohnt sich aber auch ein Blick nach oben für eine ungewöhnliche und unerwaretete Perspektive auf die Installation Hangover von Andreas von Weizsäcker. Sie entstand als Intervention 1991 im Rahmen des Projektes Im Lärm der Stadt von Sprengel Museum und Stiftung Niedersachsen. 1993 wurde ihr Bleiben und damit die Statusänderung von einer temporären Intervention zu einer dauerhaften Leihgabe beschlossen, erst vor wenigen Jahren wurde sie von der Landeshauptstadt angekauft. Hangover hat sich also vom kurzzeitigen Dazwischen zur langfristigen Perspektive entwickelt. Verändert sich dadurch das Konzept der Arbeit? Ihre Wirkung oder Wahrnehmung?

[Hangover von Andreas von Weizsäcker, unter der Raschplatzhochstraße, installiert im Rahmen des Projektes Im Lärm der Stadt im Jahr 1991 (zunächst temporär, seit 1993 dauerhaft).]

Nach der Raschplatzhochstraße endet der Raschplatz – und damit auch die tiefergelegte einstige Paserelle – in einem kleinen Plateau, zu dem bereits einige Stufen emporführen. Es ist Teil eines groß angelegten Aufgangs zur Straßenebene, hier konkret zum Kulturzentrum Pavillon und dem angrenzenden Andreas-Hermes-Platz. Auf dem Plateau dominiert heute die Drogenszene, Graffiti erinnern daran, dass bis vor einigen Jahren die Parkour-Gruppe monkey movement hier trainierte. Und das Figurenensemble Die Frauen von Messina von Rolf Szymanski erinnert daran, dass hier Ende der 1970er Jahre auch noch eine andere Realität von Stadt denkbar war. Dies ist einer jener Wie-würde-die-Stadt-aussehen-wenn…-Orte, an denen sich unterschiedliche urbane Ebenen zu überlagern scheinen.

Als die Landeshauptstadt Anfang der 1970er Jahre mit dem U-Bahn-Bau begann, wurde für das DeFaKa (Deutsches Familien-Kaufhaus, später Horten, Karstadt, Kaufhof und Galeria) ein Ausweichquartier auf dem Andreas-Hermes-Platz gebaut, auf dem sich bis 1963 Teile des Gerichtsgefängnisses Hannover befanden. Es handelte sich um einen provisorischen, etwa 5000 m² großen Flachdachbau, der wieder abgerissen werden sollte, aber schließlich die 1975 gegründete Bürgerinitiative Raschplatz und Projekte der Soziokultur und kulturellen Bildung beherbergte. Heute ist der Pavillon nach einer Sanierung im Jahr 2013 dauerhafter denn je. In den 1970er Jahren (und danach noch bis 2010) erhielten die Betreiber*innen von der der Stadtverwaltung nur jeweils einjährige Nutzungsverträge.

Dennoch war der Standort seit 1958 und noch bis in die 1970er Jahre immer wieder im Gespräch für einen Neubau des Schauspielhauses, das im Krieg in der Südstadt zerstört worden war, so dass das Staatstheater zunächst auf andere Spielstätten ausweichen musste. Zwei Architekturwettbewerbe lieferten in den 1960er und 1970er Jahren konkrete Entwürfe für den Andreas-Hermes-Platz, während die Stadt sich dynamisch weiterentwickelte: Der U-Bahn-Bau brachte den Pavillon und machte eine Untertunnelung des City-Rings am Raschplatz unmöglich, weshalb eine Hochstraße gebaut wurde, der Pavillon wurde schließlich vom Provisorium und einer Zwischennutzung zur Dauerlösung. Das Schauspielhaus wurde schließlich 1992 in der Prinzenstraße eröffnet.

Aber als 1977 Szymanskis Die Frauen von Messina aufgestellt wurden, wäre es noch auf dem Andreas-Hermes-Platz denkbar gewesen, wenn auch mit viel Mühe. Das Figurenensemble scheint den Ort darauf vorbereiten zu wollen – und ist damit aus der Zeit gefallen. Das Gedankenspiel lohnt sich aber dennoch und das Ensemble weist darauf hin: Wie würde Hannover heute aussehen, wenn es als einzige deutsche Großstadt ein Schauspielhaus hinter dem Bahnhof, also auf der „dunklen Seite der Stadt“ hätte?

[Die Frauen von Messina von Rolf Szymanski, Aufgang vom Raschplatz zum Andreas-Hermes-Platz Hannover, aufgestellt 1977.]

Die Platzierung der Frauen von Messina als vorbereitende Maßnahme für eine städtebauliche und kulturelle Setzung – also als den Versuch, durch Kunst Tatsachen zu schaffen, erinnert an eine andere Setzung aus der gleichen Zeit. Als der Kunstsammler und -mäzen Bernhard Sprengel, Beiratsmitglied des Experiment Straßenkunst, mit dessen in seinen Augen provinzieller Künstler*innen-Auswahl unzufrieden war, kaufte er auf eigene Kosten das Objekt Hellebardier (Guadeloupe) von Alexander Calder, angeblich, um den Hannoveraner*innen einmal zu zeigen, wie internationale Kunst wirklich aussehe.

Da die Geste eine didaktische war, wurde die Plastik dort platziert, wo sie wirklich jede*r sehen musste: auf dem Opernplatz. Erst 1978 fand sie ihren Platz am Maschsee-Nordufer, gegenüber des von Sprengel ebenfalls gestifteten Museums. Angeblich war auch der Raschplatz als Standort im Gespräch. Eine weitere Wie-würde-die-Stadt-aussehen-wenn…-Geschichte. Es ging Sprengel jedenfalls ums Mittendrinsein, ums Gesehenwerden, um Repräsentanz, Bedeutung – und wohl auch darum, ein Revier abzupinkeln. Diese Impulse haben seither noch weitere Ideen und Konzepte für den Opernplatz geboren.

Exkurs:
[Hellebardier (Guadeloupe) von Alexander Calder, seit 1978 am Maschsee-Nordufer, zuvor seit 1972 auf dem Opernplatz Hannover.]

Exkurs:
[Opernplatz Hannover, ehemaliger Standort des Hellebardier (Guadeloupe) von Alexander Calder, seit 1978 am Maschsee-Nordufer.]

Exkurs:
[Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zur Aufstellung des Hellebardier (Guadeloupe) von Alexander Calderaus im Jahr 1972.]

Wie künstlerische Setzungen jenseits reiner Machtgesten aussehen können, zeigte exemplarisch das Stadtentwicklungsprojekt Beyond in Leidsche Rijn, einem Stadtteil Utrechts. Noch bevor die ersten Straßen in einem Entwicklungsgebiet gebaut waren, begann die staatliche Stiftung SKOR (Stichting Kunst en Openbare Ruimte), im Jahr 1997 Künstler*innen einzuladen, Räume zu prägen. Tom van Gestel, künslerischer Leiter von SKOR berichtete mir 2005 in einem Interview von einem der Projekte:

„Die dänische Künstlergruppe N55 hat im Rahmen von Action Research zum Beispiel das Projekt Land umgesetzt: Ein Stück ’neutrales‘ Land inmitten von Privatbesitz, eine Leerstelle, für jeden frei zugänglich, in deren Grenzen jeder die gleichen Rechte besitzt. Inzwischen erkennen die Anwohner langsam die Möglichkeiten: Sie müssen erst lernen, wie sie damit umgehen sollen. Sie haben ja tausend Regeln und Beschränkungen in ihren Köpfen, die normalerweise in besiedelten Gebieten gelten. Aber hier können sie campen oder Feuer machen, was auch immer. Das erste was damals geschah, war dass plötzlich 30 Schafe auf dem Land grasten. Ein Kleinbauer hatte das Konzept sehr schnell begriffen und beschlossen, es für sich zu nutzen. Die Anwohner, die ja bereits wussten, dass es sich um ein Kunstprojekt handelt, nur noch nicht, wie es funktioniert, riefen erst einmal bei der Stadtverwaltung an, um sich über die Schafe zu beschweren – so etwas sei auf einem Stück Kunst doch bestimmt verboten… Als sie erfuhren, dass es erlaubt ist, waren sie höchst erstaunt. Inzwischen veranstalten sie selbst auch mal eine Party dort – allerdings nicht, ohne sich vorher zu vergewissern, dass das auch erlaubt ist.“

Exkurs:
[Das Projekt LAND von N55 im Katalog Art as Urban Strategy. Beyond Leidsche Rijn, Hrsg. Gestel, Tom van und Heezen, Henriëtte und Zonnenberg, Nathalie; Rotterdam 2009.]

8. Andreas-Hermes-Platz

[Andreas-Hermes-Platz in Hannover]

Standort (Andreas-Hermes-Platz in Hannover) auf Google Maps

Wer die Stufen hinter Szymanskis Frauen von Messina nutzt, steht also nicht vor dem Schauspielhaus, sondern vor dem Kulturzentrum Pavillon, das längst zu einer festen Größe in Hannovers Kultur und Soziokultur geworden ist. Daneben – beziehungsweise von der Straße aus betrachtet dahinter – befindet sich der Andreas-Hermes-Platz, eine für Innenstadtverhältnisse große Freifläche mit einigen Bäumen, einer weitläufigen (etwa 40 m²), als Brunnen oder Bassin gestalteten Wasserfläche (dem Hermes-Brunnen) und seit 2019 auch mit einem Hotelturm, dem der Berliner Allee zugewandten IntercityHotel. Bis zum Bau des Hotels wurde der Platz künstlerisch zur Straße hin durch eine Wasserwand aus Naturstein des Landschaftsarchitekten Gustav Lange abgegrenzt, die als Kunst am Bau zum Neubau des angrenzenden Gebäudes der DZ Bank entstanden war.

Lange war nicht unerfahren im Dazwischen von Kunst und Platzgestaltung: 1992 wurde zur documenta IX auf dem Kasseler Königsplatz seine überdimensionale Treppe ins Nichts errichtet, eigentlich Ergebnis eines Planungswettbewerbs aus dem Jahr 1989. Sie war bei Bürger*innen und Stadtverwaltung umstritten, galt manchen als „Ärgernis“ und wurde als „Elefantenklo“ verspottet. Doch Lange hielt stand und wehrte sich erfolgreich gegen einen Abbau – bis ins Jahr 2000, als CDU-Oberbürgermeister Georg Lewandowski über Nacht Tatsachen schuf, um die Hinterlassenschaft seines SPD-Vorgängers zu beseitigen, entgegen einer einstweiligen Verfügung. Der Abriss hatte Konsequenzen: Der wegen Untreue angeklagte Oberbürgermeister musste 15.000 Euro zahlen, der Rechtsdezernent 14.000 Euro und der ebenfalls mitangeklagte Baudezernent 13.000 Euro. Die Staatsanwaltschaft war zuvor vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs abgerückt, hatte aber am Tatbestand der Untreue festgehalten.

Die Zukunft des Andreas-Hermes-Platzes in Hannover ist nach wie offen. Aktuell wird er hin und wieder für Veranstaltungen des Kulturzentrums Pavillon, wie zum Beispiel das Masala-Weltbeat-Festival, genutzt. In der verbleibenden Zeit waschen sich hier Wohnungslose in der eher verwahrlosten Wasserfläche und Dealer verkaufen offen und ungeniert ihre Drogen.

[Das neue IntercityHotel und das Bredero-Hochhaus vom Andreas-Hermes-Platz aus gesehen.]

Vor wenigen Wochen nutzten der Landesverband Soziokultur in Niedersachsen und die Stiftung Niedersachsen den Andreas-Hermes-Platz für ihre Tagung Entdeckungsreise zu Gebieten von besonderem Interesse – Kunst und Kultur als Entwicklungsfaktor für Städte und Regionen. Sie hatten Künstler*innen eingeladen, die an der Schnittstelle zu Stadtentwicklungsprozessen arbeiten, in Workshops ihre Methoden zur gemeinsamen, niedrigschwelligen Annäherung an Räume zu demonstrieren.

„Für das Land Niedersachsen ist Kulturpolitik immer auch Regionalentwicklung“, betonte Corinna Fischer, Abteilungsleitung Kultur im Ministerium für Wissenschaft und Kultur Niederachsen, bei der Eröffnung. Innenstädte müssten weiterentwickelt werden zu Orten des Miteinandern, dürften nicht reine Konsumräume bleiben. Es gehe um gesellschaftliche Teilhabe für alle. Daniela Koß von der Stiftung Niedersachsen ergänzte, Soziokultur werde häufig noch nicht in Prozesse der Stadt- und Regionalentwicklung eingebunden, obwohl sie große Expertise in der Moderation und Begleitung von langfristigen Prozessen mitbringe: „Wir müssen neue Wege auch in Förderung und Verwaltung gehen, um gemeinsam und auf Augenhöhe die Städte gestalten zu können.“

Exkurs:
[Tagung Entdeckungsreise zu Gebieten von besonderem Interesse – Kunst und Kultur als Entwicklungsfaktor für Städte und Regionen von Landesverband Soziokultur in Niedersachsen und Stiftung Niedersachsen auf dem Andreas-Hermes-Platz.]

Martin Keil, bildender Künstler und Mitgründer der Berliner Projektgruppe Reinigungsgesellschaft stellte die Bedeutung von Kunst als Input für Veränderungsprozesse heraus: „Es ist wichtig, welche Fragen wir stellen.“ Er bezog sich auf Stavros Stavrides, Architekt, Aktivist und Autor von Common Space: The City as Commons (siehe auch Gemeingut Stadt): Gemeinschaftsraum sei ein erfinderischer Prozess voller Widersprüche, es gelte, Träume und Bedürfnisse zu vergleichen, neue Wege zur kollektiven Emanzipation zu erproben und zu erfinden.

In einem Workshop näherte sich Keil den Herausforderungen der Stadtentwicklung anhand eines Assoziationsspiels, das er seit 20 Jahren immer weiter entwickelt: Dazu stellte er auf Kärtchen Begriffe aus wichtigen Texten zum Thema sowie Piktogramme zur Verfügung, die in Dreierkombinationen mit Fotos kombiniert werden sollten, die er bei weltweiten Reisen gemacht hat. „Es geht darum, sich gedanklich frei machen: Was bedeutet städtischer Wandel für den einzelnen?“, so Keil.

Ich assoziierte zum Beispiel ein Piktogramm für Spurwechsel mit dem Begriff „Vernetzung“ und dem Bild einer mehrspurigen Straße, durch einen engmaschigen Zaun hindurch fotografiert. Ich erlebe Netzwerke nämlich zunehmend auch als exklusiv, also ausschließend – gerade solche, die eigentlich integrieren wollen. Das Zusammenführen vieler Menschen auf tatsächlicher Augenhöhe ist eine hohe Kunst und das Streben nach persönlichem (Image)Gewinn hält sich hartnäckig in fast allen Köpfen. Effektive, produktive und faire Vernetzungsprozesse kommen häufig nicht ohne professionelle Künstler*innen aus, deren Rahmensetzungen sich über das Naheliegende hinwegsetzen.

Exkurs:
[Tagung Entdeckungsreise zu Gebieten von besonderem Interesse – Kunst und Kultur als Entwicklungsfaktor für Städte und Regionen von Landesverband Soziokultur in Niedersachsen und Stiftung Niedersachsen auf dem Andreas-Hermes-Platz.]

Exkurs:
[Mein Ergebnis des Workshops The City as Commons von Martin Keil (Reinigungsgesellschaft, Dresden) bei der Tagung Entdeckungsreise zu Gebieten von besonderem Interesse – Kunst und Kultur als Entwicklungsfaktor für Städte und Regionen von Landesverband Soziokultur in Niedersachsen und Stiftung Niedersachsen auf dem Andreas-Hermes-Platz.]

Der Kommunikationsstratege Axel Watzke aus Berlin, der mit der Agentur studiovorort auch in der kreativen Regionalentwicklung tätig ist, bringt in seinem Workshop Soziokultur auf einen gut nachvollziehbaren Nenner: In der Stadt bilden sich internationale Fragestellungen wie zum Beispiel schwindende Solidarität ab, Soziokultur (wie auch Kunst) kann dabei das Große im Kleinen exemplarisch erfahrbar machen. Watzke plädiert für Offenheit und Innovation: „Man kann nicht neue Herausforderungen mit alten Werkzeugen lösen!“

Bertram Weisshaar (Atelier Latent in Leipzig) führte vom Andreas-Hermes-Platz ausgehend Workshops in Spaziergangswissenschaft als Stadterfahrung durch. Ihm ging es um Kippfiguren und Umschläge in der Wahrnehmung. Sein Beispiel zu Feinheiten der Betonung in der Abschlusspräsentation leuchtet ein: Hannover wird modern werde heute hier und da schnell zu Hannover wird modern.

Exkurs:
[Ergebnis des Workshops Szenen einer Großstadt von Axel Watzke (studiovorort, Brandenburg/Berlin) bei der Tagung Entdeckungsreise zu Gebieten von besonderem Interesse – Kunst und Kultur als Entwicklungsfaktor für Städte und Regionen von Landesverband Soziokultur in Niedersachsen und Stiftung Niedersachsen auf dem Andreas-Hermes-Platz.]

9. Bahnunterführung Lister Meile (Hauptbahnhof)

[Bahnunterführung mit neuem Verlauf der Stadtbahnlinie 10.]

Standort (Bahnunterführung Lister Meile (Hauptbahnhof) in Hannover) auf Google Maps

Der Weg von „hinter’m Bahnhof“ zurück in die bunte Konsumwelt davor führt, alternativ zur Niki de Saint Phalle Promenade, vorbei an der neuen Endhaltestelle der Linie 10 und ihrer neuen Streckenführung unter den Bahngleisen des Hauptbahnhofs hindurch. Die Straße heißt hier noch Lister Meile, hat aber nichts mehr zu tun mit der beliebten, flanierfreundlichen Fußgängerzone in Richtung Nordosten, die einst von Hannes Adrian zusammen mit U-Bahn und Paserelle als Teil der Stadterneuerung geplant wurde. In der Bahnunterführung gibt es keine Kunst, nur viele Tauben und im Winter Wohnungslose auf der Suche nach einem trockenen Schlafplatz.

Aber es gibt diese alten Werbevitrinen, die viele Jahre lang ausschließlich die immer gleichen Plakate der FKK Villa zeigten, dem „bekanntesten Bordell der Stadt“ (BILD) mit angeblich guten Kontakten zum organisierten Verbrechen. Heute wird darin für Küchen geworben, immerhin. Und es gibt Türen, die vermutlich in die Eingeweide des Einkaufsbahnhofs führen, von hier aus aber aussehen, als könnte sich dahinter auch der Weg ins Wunderland verbergen. Diese Bahnunterführung ist ein fast klischeehafter Unort. Braucht er Kunst? Oder andersherum: Braucht die Kunst solche ambivalenten Orte des Dazwischen?

[Bahnunterführung mit neuem Verlauf der Stadtbahnlinie 10.]

10. Andreaeplatz

[Mann mit Hirsch von Andreas Balkenhol, Andreaeplatz Hannover, 2002 aufgestellt, aktuell umstellt von Elementen des Innenstadtdialogs.]

Standort (Andreaeplatz in Hannover) auf Google Maps

Wer nach der Bahnunterführung nicht dem rechts abknickenden Straßenverlauf folgt, sondern sich fast geradeaus hält, landet in der Schillerstraße, die auf das Schillerdenkmal in der Georgstraße zuführt – und an einem kleinen Platz, der kaum den Namen verdient, einem Beinahe-Unort hinter der großen Fußgängerzone. Neben dem Andreaeplatz mit seinen bewusst unbequemen Sitzgelegenheiten, die wohl ein Liegen verunmöglichen sollen, dabei aber zu Lasten jeder Aufenthaltsqualität gehen, steht fast beiläufig durchaus wichtige Kunst im öffentlichen Raum: Der Mann mit Hirsch des bedeutenden zeitgenössischen Bildhauers Stephan Balkenhol.

Die Plastik wurde 2002 als Ergebnis eines beschränkten Wettbewerbs durch eine Jury ausgewählt, initiiert und finanziert durch die KarstadtQuelle AG anlässlich ihres Jubiläums und Neubaus am Standort. Die surreale Kombination von meist unbeteiligt wirkenden Menschen mit Tieren soll in den Arbeiten Balkenhols bewusst keine Geschichten erzählen – so bleibt die Arbeit geheimnisvoll. Im Gegensatz zu vielen anderen Darstellungen von Mensch und Tier wirkt diese unhierarchisch, es findet keine Kontrolle statt. Die Situation wirkt entspannt: eher ein Schnappschuss als eine Pose. So kann die Plastik auch als alternatives Reiterstandbild gelesen werden, in direktem Gegensatz zur Repräsentativität historischer Vorbilder wie zum Beispiel dem Ernst-August-Denkmal von Albert Wolff, das 1861 vor dem Hauptbahnhof aufgestellt wurde.

Es existieren noch weitere Abgüsse des Objekts Mann mit Hirsch. Ein unbemalter in Ratingen ist hier als Vergleich besonders interessant: Er steht nämlich in der Natur, mitten auf einer Wiese im Angertal, am Kunstweg der Stadt Ratingen. Dort geht es in lokalen Beschriebungen der Kunst plötzlich um Bezüge zur Jagd, im Verhältnis von Mensch und Natur dominiert an diesem Ort klar die Natur – anders als mitten in Hannover. Nun lässt die Landeshauptstadt aktuell wissen: „Die Stadt hat in der Andreaestraße in der City für vier Wochen einen begrünten Aktionsraum mit Pflanzbeeten, geschwungenen Sitzelementen und Bewegungsevents an Tischtennisplatten eingerichtet. Die temporäre Maßnahme ist ein Teil des Innenstadtdialogs und lehnt sich an die Experimentierräume im vergangenen Jahr an.“

Der städtische Fachbereich Umwelt und Stadtgrün wertet also den Andreaeplatz auf – und bringt vorsichtshalber auch ein wenig Natur zum Mann mit Hirsch, der plötzlich von Palettenbeeten umringt ist. Die Szene wirkt absurd hilflos: Kann es so einfach sein, die Innenstadt neu zu gestalten? Welche Rolle spielt die Kunst dabei? (Siehe auch unser Forum zum Thema Urheberrecht aus dem Jahr 2020.)

Übrigens lohnt sich hier ein Vergleich der Wirkung von Kunst im urbanen Raum, die ja in all dem Dazwischen keinem der ständig neuen Bezüge entgehen kann, und einer Kunst im öffentlichen Raum in einem ruhigen Stadtteil wie Kronsberg, der zur EXPO 2000 quasi homogen aus dem Ackerboden gewachsen ist: sauber, ordentlich, naturnah, das Gegenteil von urban und mittendrin. Hier scheint es keine Unorte zu geben, sondern nur sorgsam geplante, sinnvolle Bebauung. Und eben Kunst, sogar ähnlich international bedeutende wie die von Stephan Balkenhol. Es gibt sogar einen Kronsberger Kunstpfad und einen Flyer des Stadtteilzentrums KroKuS dazu, die internationale und eher lokale Arbeiten zusammenfassen.

Ich muss gestehen, dass mir das aus urbaner Perspektive über 20 Jahre lang weitgehend verborgen blieb. Deshalb ein schneller Blick auf zwei Objekte. Ein von Ulrich Rückriem bearbeiteter Granit Bleu de Vire im Paradieshof des Evangelischen Kirchenzentrums Kronsberg wurde 2000 als Kunst am Bau aufgestellt. Er ist nahezu frei zugänglich, der Hof ist nur durch Ketten abgegrenzt – wer den offiziellen Weg gehen möchte, fragt vorher beim Küster um Erlaubnis. Auch Rückriem bringt hier ein Stück Natur in einen Zwischenraum, wie immer von ihm sorgsam gespalten, beschliffen und angebohrt, zwischen massiver Rohheit und zivilisatorischen Einflüssen.

Exkurs:
[Ein von Ulrich Rückriem bearbeiteter Granit Bleu de Vire im Paradieshof des Evangelischen Kirchenzentrums Kronsberg, 2000 als Kunst am Bau aufgestellt.]

Diese Kronsberger Kunst ist mir seit langem aus dem Fenster der Stadtbahn auf dem Weg zur EXPO Plaza vertraut. Nun bin ich doch einmal ausgestiegen: Die überdimensionale, 25 Meter hohe, Stahlskulptur von Erich Hauser vermag hier am Kattenbrookstrift auf einem Firmengelände ganz anders zu wirken als ihr Pendant, das wir oben bereits auf der Skulpturenmeile betrachtet haben. Die Weite verändert die Kunst – ebenso wie es die umgebende Architektur in der Stadt tut.

Exkurs:
[Stahlskulptur von Erich Hauser im Kattenbrookpark in Hannover Kronsberg.]

11. Steintorplatz

[Steintorplatz Hannover während der Fête de la Musique.]

Standort (Steintorplatz in Hannover) auf Google Maps

Am Ende der Schillerstraße steht das Schillerdenkmal auf der Georgstraße, die einige Meter weiter bereits in den Steintorplatz mündet – einen Ort, an dem sich in den kommenden Jahren gewaltige Veränderungen ergeben sollen, sowohl in Sachen Gestaltung als auch in Sachen Kunst. Das wird zwar erfreulicherweise Hand in Hand geschehen: Ina Weise ist als Künstlerin Teil des Teams um das Landschaftsarchitekturbüro Grieger Harzer Landschaftsarchitekten aus Berlin, das mit seinem Entwurf den freiraumplanerischen Wettbewerb für den Steintorplatz im Jahr 2019 gewann. Leider scheint die Kunst aber Juniorpartnerin in Geschehen zu sein und kann kaum konzeptionelle Augenhöhe einlösen – auch wenn die geplante Lichtstele mit dem Arbeitstitel Statistische Säule 25 Meter hoch sein wird. (Zu Planungen, Ideen und Konzepten sowie zur Perspektive der Künstlerin unterhielten wir uns 2020 mit Ina Weise in einem Forum. Dort sind auch Visualisierungen der geplanten Kunst zu sehen.)

Gemessen daran, dass es sich hier vermutlich um das teuerste, größte und dominanteste Objekt handelt, das seit sehr langer Zeit in den Stadtraum Hannovers findet, verwundert es, dass das Projekt in der Stadtverwaltung nicht unter Einbeziehung aller Disziplinen vorbereitet, sondern ausschließlich vom Baudezernat betreut wird. Was bedeutet das für die Kunst? Wird sie durch ihr Einbeziehen aufgewertet? Oder letztlich instrumentalisiert? Handelt es sich eher um ein Gestaltungselement als Teil der Platzneugestaltung? Wie könnte oder müsste eine Struktur aussehen, die eine postdiziplinäre Herangehensweise erlaubt?

Meine Fotos vom Steintorplatz sind am Tag der Fête de la Musique entstanden – die ihn temporär zum Zentrum der City of Metal machte, mit harter Musik und einem Publikum, das sich teilweise auch optisch einer einschlägigen Musikszene zuordnete. Der Platz braucht als zentraler Platz Hannovers diese Offenheit, Flexibilität und Mehrschichtigkeit. Verträgt sich das mit einer Kunst, die in der Tradition herrschaftlicher Denkmale und Obelisken Mitte und zentrale Herrschaftsachsen betont?

[Steintorplatz Hannover während der Fête de la Musique.]

[Steintorplatz Hannover (City of Metal) während der Fête de la Musique.]

Dabei muss ein überdimensionales Objekt inmitten eines Platzes durchaus nicht immer als Ornament bestehende Strukturen affirmativ betonen, wie ein kurzer Blick in die Geschichte der Kunst im öffentlichen Raum zeigt: Deren wohl bekanntestes Beispiel für eine Herausforderung, die auf Kosten der Kunst endete, ist Richard Serras Tilted Arc, 1981 im Auftrag der US-Regierung auf der Federal Plaza in Manhattan, New York, installiert, ein über 36 Meter langer und fast vier Meter hoher Stahlbogen, der formale Elemente des Platzes aufnahm, die angestammten Wege zur Durchquerung des Ortes jedoch nachhaltig störte. Nach zahlreichen öffentlichen Protesten wurde 1989 in einem Gerichtsverfahren entschieden, die Arbeit zu zerlegen und zu entfernen.

In meiner Kurzbetrachtung aus dem vergangenen Jahr über Polaritäten von Kunst in öffentlichen Räumen gehe ich auch diskursiv auf „kritisch oder affirmativ“ ein, ohne mich für eine von beiden Seiten zu entscheiden:

„Darf Kunst das Bestehende bestätigen, indem sie nur illustriert, kommentiert oder dekoriert? Darf sie gefällig sein? Beliebt? Darf Kunst gemocht werden? Muss sie nicht sogar gemocht werden, um einen niedrigschwelligen Zugang zu ermöglichen? Oder soll sie sperrig sein, um die Ecke denken, auf Leerstellen und Missstände hinweisen? Soll sie den Finger in Wunden legen und zum Nachdenken anregen, zum kritischen Diskurs? Wie schön darf Kunst sein? Wie bunt? Was passiert, wenn einst kritische Kunst im Laufe der Jahrzehnte ihren Biss verliert, nicht mehr in ihren ursprünglichen Zusammenhängen gelesen und nur noch als harmlos empfunden wird? Kann sich die Kritik von Kunst verbrauchen? Hat kritische Kunst irgendwann ihre Schuldigkeit getan? Soll Kunst den Stadtraum gestalten, mit ihm harmonieren, sich einfügen und ihn attraktiver machen? Wann wird Kunst zu Design?“

Der Stadtraum ist als öffentlicher Raum nicht zuletzt jener Ort, an dem solche Fragen über Kunst und durch Kunst stets neu verhandelt werden können und müssen – ganz im Sinne der Idee einer Agora, wie sie im Zentrum der hannoverschen Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2025 stand. Vor wenigen Wochen veranstaltete das Planungsbüro endboss in Hannover die Konferenz you promised me a city im Auftrag der Initiative Nationale Stadtentwicklungspolitik. Dabei stand im Zentrum genau die Frage nach Formen des Diskurses, der Auseinandersetzung, des Streitens: Wie lässt sich Offenheit auch bei so komplexen und folgenreichen Prozessen wie denen der Stadtgestaltung und -entwicklung bewahren?

Dilek Ruf, Landesvorsitzende des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten BDA, fragte am Rande der Konferenzeröffnung im persönlichen Gespräch: „Wer hat die Deutungshoheit über die Stadt?“ Sie erklärte: „Wir gestalten Zukunft, wir müssen dabei vorausschauen und dürfen nicht in geschlossenen Gruppen denken.“ Der BDA sei deshalb im Rahmen der Konferenz gerne Gastgeber für eine Tagung mit ukrainischen Architekt*innen darüber, wie sich Städte wieder aufbauen lassen: „Man kann anhand des Wiederaufbaus in Hannover exemplarisch fragen, wo Aspekte gelungen sind – und wo gescheitert.“

Exkurs:
[Parade der Konferenzteilnehmer*innen bei you promised me a city von endboss.]

Exkurs:
[Parade der Konferenzteilnehmer*innen bei you promised me a city von endboss.]

endboss war bei you promised me a city offenbar auch interessiert daran, starke Bilder zu erzeugen und löste dabei durchaus ein Stück Postdisziplinarität ein: mit installativen oder performativen künstlerischen Formaten. Schade nur, dass die 300 zumeist jungen Stadtmacher*innen, die an der Konferenz teilnahmen, sich kaum mit Künstler*innen, Kurator*innen, Kunstvermittler*innen oder Kulturpolitiker*innen durchmischten – sie blieben bei ihren lebendigen Diskursen zu oft in der eigenen Blase. Zum Auftakt besetzte die Konferenz, quasi als Zitat, den oben bereits als begehrten Repräsentationsort beschriebenen Opernplatz, um dann in einer Parade mit allen Gästen zu Fuß durch die Stadt bis zum Ihme-Zentrum zu ziehen, ins Herz der problematisch gewordenen Stadtvisionen.

Die Architektin und Stadtentwicklerin Charlotte Malterre-Barthes fragte bereits auf dem Opernplatz in einer Aufzeichnung per Funkkopfhörer, wie eine Zukunft aussehen könnte, in der aus Nachhaltigkeitsgründen weniger gebaut wird: „Building less, caring for what is there.“ Es gehe also darum, den Bestand kreativ und produktiv zu nutzen. Was könnte das für die Kunst im öffentlichen Raum bedeuten? Kann und muss nicht auch hier der – in Hannover sehr große – Bestand in Bezug gesetzt werden zu neuen Initiativen und Überlegungen? Ist es fruchtbar, ihn einfach immer weiter zu ergänzen?

Exkurs:
[Auftakt der Konferenz you promised me a city von endboss auf dem Opernplatz.]

Exkurs:
[Lecture Performance Common‘ take care! von Anna Weberberger von der Kunstuniversität Linz in einem leerstaehenden Ladenlokal in der Innenstadt bei der Konferenz you promised me a city von endboss.]

„Es geht darum, unterschiedliche Stimmen nebeneinander aushalten zu können“, sagte der Hamburger Künstler Martin Muth, der einen diskursiven Fight Club zu Aspekten von Repräsentation und Repräsentanz in einem Boxring unter dem Ihme-Zentrum moderierte. Die Sozialpsychologin Leyla Ercan, unter anderem Agentin für Diversität am Schauspiel Hannover, hinterfragte dabei gleich die ganze Veranstaltung: „Wer organisiert das? Ein elitärer, weißer Haufen.“ Es sei immer wichtig, zu fragen, wem etwas nutze, auf wessen Kosten etwas gehe. Und Tatjana Schneider, Professorin für Architekturtheorie in Braunschweig, postulierte: „Architektur ist Gewalt!“

Exkurs:
[Diskursiver Fight Club mit Leyla Ercan und Solmaz Shahbazi unter dem Ihme-Zentrum bei der Konferenz you promised me a city von endboss.]

Exkurs:
[Transparent vor dem Ihme-Zentrum bei der Konferenz you promised me a city von endboss.]

Der Konferenz gelangen aber auch immer wieder leise Momente der Annäherung. Das Kollektiv Lu’um aus Hamburg bot zum Beispiel einen Workshop in einem Schrebergarten an. Zur Frage „Verderben viele Köch*innen die Stadt?“ wurde tatsächlich gemeinsam gekocht – nachdem sich die Teilnehmer*innen spontan geeinigt hatten, welche Zutaten zu welchen Gerichten werden könnten und wer welche Aufgaben übernimmt. Geredet wurde beim Machen. Und das Ergebnis war ein Genuss.

Exkurs:
[Workshop How do you care for your space? Oder verderben viele Köch*innen die Stadt? des Hamburger Kollektivs Lu’um bei der Konferenz you promised me a city von endboss.]

Am Ende liegen in einem der umgebauten Übersee-Container des Lindener PLATZprojekts alle Erwartungen in Scherben. Die Urbane Liga, ein vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen initiiertes Bündnis junger Stadtmacher, hat diskursmüde Teilnehmer*innen aufgerufen, auf Keramikkacheln zu schreiben, welche Versprechen, die ihnen über ihre Stadt gemacht wurden, gebrochen wurden. Die sollen dann mit letzter Energie zerdeppert werden – nur damit sie von den Urbanist*innen wieder neu zu einem gemeinsamen „heilenden Mosaik“ zusammengeklebt werden können.

Wer „you“ und „me“ genau sind und wer in der Vergangenheit welche Versprechen aktiv formuliert hat, bleibt allerdings während der Konferenz offen. Da stellt sich auch die Frage, ob es nicht produktiver wäre, sich erst gar nicht damit aufzuhalten, sich über „die da oben“ zu beklagen und sich als Opfer von falschen Versprechen zu inszenieren. Ich mag es, eine Stadt als gemeinsame Erzählung aller ihrer Nutzer*innen zu betrachten – inklusive aller Widersprüche, Kontroversen und Hemmschwellen. In diesem Bild bleiben alle aktiv und haben die Möglichkeit, mit- und dazuzu(er)zählen, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen.

Soziokultur versucht, Menschen zu solchem aktivem Mitgestalten zu ermuntern. Und Kunst tut dies – wenn auch mit anderen Strategien und oft eher indirekt – auch. Gute Beispiele zu aktivierenden künstlerischen Prozessen in Stadträumen finden sich in drei Gesprächen, die Kunst umgehen in der Reihe Forum in den vergangenen beiden Jahren veröffentlicht hat: mit der Künstlerin Barbara Holub (transparadiso), dem Architekten Benjamin Foerster-Baldenius (raumlaborberlin) und der Stadtforscherin Hilke Marit Berger.

Exkurs:
[Antwort auf die Frage nach gebrochenen Versprechen über Stadt bei der pertizipativen Aktion Healing broken promises der Urbanen Liga des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen bei der Konferenz you promised me a city von endboss.]

12. Goseriedeplatz

[Bonhomme von Daniel Knorr auf dem Goseriedeplatz gegenüber der Kestnergesellschaft, 2017 zunächst im Rahmen von Made in Germany III temporär platziert, später im gleichen Jahr von der Stadt Hannover angekauft.]

Standort (Goseriedeplatz in Hannover) auf Google Maps

An der letzten Station dieses Zwischengangs warten gleich mehrere künstlerische Arbeiten im öffentlichen Raum – was damit zu tun hat, dass gegenüber des Goseriedeplatzes die Kestnergesellschaft liegt, einer der beiden großen hannoverschen Kunstvereine, dessen neuer Direktor Adam Budak großes Interesse an Kunst im Stadtraum zeigt. Zunächst soll es hier aber um ein Objekt gehen, das noch unter seiner Vorgängerin Christina Vegh aufgestellt wurde: Bonhomme von Daniel Knorr, 2017 zunächst im Rahmen von Made in Germany III temporär platziert, später im gleichen Jahr von der Stadt Hannover angekauft.

Der Stein-Schneemann ist einer von mehreren, die der Künstler jeweils aus lokalem Material zusammenfügt – so entsteht ein weltweites Netzwerk. Zum Zeitpunkt meines Fotos war der Schatten der Figur besonders lang, was wohl der Jahreszeit geschuldet ist. Dennoch: Je mehr sich die fortschreitende Klimakatastrophe bemerkbar macht, desto beklommener macht die Kombination aus Steinen, Sonne und der Vergänglichkeit und Angreifbarkeit, für die ein Schneemann auch steht. Eigentlich sollte Bonhomme jedoch gar nicht mehr hier sein: Beim Ankauf vereinbarte die Stadt Hannover ein mobiles Konzept: Das Objekt soll an verschiedene Standorte, auch in den Stadtteilen, wandern, um nicht nur einen repräsentativen Innenstadtplatz zu besetzen. Bis sich dieses Vorhaben einlöst, verharrt der es hier im Dazwischen.

Dennoch bleibt auf dem Goseriedeplatz genug Potenzial für weitere Projekte der Kestnergesellschaft, die ihn immer häufiger als „ihren“ temporären öffentlichen Raum nutzt und auch bei Eröffnungen bespielt. Aktuell ist dort Malte Taffners prozessuale Installation A Fragment Of Eden zu sehen, die nach dem möglichen zukünftigen Miteinander von Mensch, Natur und Technik fragt. Sie schafft einen urbanen Aufenthaltsort, an dem sich auch Pflanzen und Tiere wohlfühlen sollen. Ergänzt wird sie im Projekt A Fragment Of Eden durch weitere vier Arbeiten unterschiedlicher Künstler*innen, die ebenfalls nach einer Zukunft der Menschheit im Einklang mit der Natur fragen.

Eine weitere Arbeit des Projektes befindet sich direkt neben Malte Taffners: die Installation The Cherenkov Effect des Collectif Grapain. Sie zeigt eine Art innerstädtische Pilzfarm als Verweis auf Möglichkeiten der Selbstversorgung nach dem Zusammenbruch heutiger Versorgungssysteme – als Hybrid aus Utopie und Dystopie. Drei weitere Arbeiten befinden sich an anderen Standorten in Hannover und sollen mit dieser und untereinander rotieren, so dass jede Arbeit an jedem Standort zu sehen sein wird. Die Arbeit an der Dornröschenbrücke in Linden-Nord war dabei zum Zeitpunkt meiner Recherche nicht aufzufinden, auch nicht mit der eigens für das Projekt programmierten App. Eine Chatfunktion war erst nach Anmeldung verfügbar – am nächsten Tag. Sie funktionierte dann dennoch nicht, da ich mich ja nicht mehr am Standort befand…

Die gescheiterte Kommunikation ist möglicherweise repräsentativ für das Projekt, dessen künstlerische Bestandteile sich nicht wirklich mit ihren öffentlichen Orten verbinden. Sie könnten genau so auch (mit deutlich weniger Aufwand) in einer Ausstellungshalle stehen und würden die gleichen Geschichten erzählen. Sie wirken wie Fremdkörper im Stadtraum und lassen sich von nicht eingeweihten Personen kaum dechiffrieren. Die kurzen, eher pragmatisch gehaltenen Texte auf den Informationstafeln verbinden sich nicht mit dem Alltagserleben von Stadtnutzer*innen, von denen die meisten vermutlich schulterzuckend weitergehen.

Selbst die App, deren Nutzung ja nur mit großen Hemmschwellen möglich ist, verpasst die Möglichkeit, assoziatives, anschlussfähiges Material zu ergänzen und verliert sich ebenfalls in eher akademischen Texten. Das Projekt scheint aus seiner Platzierung im öffentlichen Raum nur wenig Mehrwert zu beziehen – und vermag seinen Standorten im Gegenzug auch keinen Mehrwert hinzuzufügen. Es verbindet sich nicht, sondern musealisiert eher seine öffentlichen Standorte. Das mag eine von vielen Erklärungen dafür sein, dass das Objekt auf dem Goseriedeplatz bereits beschädigt wurde.

[Temporäre Installation A Fragment Of Eden von Malte Taffner auf dem Goseriedeplatz gegenüber der Kestnergesellschaft.]

[Temporäre Installation A Fragment Of Eden von Malte Taffner auf dem Goseriedeplatz gegenüber der Kestnergesellschaft.]

[Temporäre Installation A Fragment Of Eden von Malte Taffner auf dem Goseriedeplatz gegenüber der Kestnergesellschaft.]

[Temporäre Installation The Cherenkov Effect des Collectif Grapain im Rahmen des Projekts A Fragment Of Eden von Malte Taffner auf dem Goseriedeplatz gegenüber der Kestnergesellschaft.]

[Temporäre Installation The Cherenkov Effect des Collectif Grapain im Rahmen des Projekts A Fragment Of Eden von Malte Taffner auf dem Goseriedeplatz gegenüber der Kestnergesellschaft.]

[Temporäre Installation The Cherenkov Effect des Collectif Grapain im Rahmen des Projekts A Fragment Of Eden von Malte Taffner auf dem Goseriedeplatz gegenüber der Kestnergesellschaft.]

[Erste Beschädigungen an der temporären Installation The Cherenkov Effect des Collectif Grapain im Rahmen des Projekts A Fragment Of Eden von Malte Taffner auf dem Goseriedeplatz gegenüber der Kestnergesellschaft.]

[Scheiternde digitale Kommunikation per App im Rahmen des Projekts A Fragment Of Eden von Malte Taffner auf dem Goseriedeplatz gegenüber der Kestnergesellschaft.]

Schließlich ist seit der Eröffnung von Adam Budaks erster eigener großer Ausstellung in der Kestnergesellschaft vor wenigen Tagen eine weitere öffentliche Arbeit auf dem Dach der Kestnergesellschaft installiert: Untitled von Shilpa Gupta, eine Reihe von Displays, die wechselnde Texte anzeigen und auch bei Tag leuchtend in die Stadt kommunizieren. Zuletzt hatte Budak 2021 zwei statische Leuchtschriften von Sharon Lockhart und Tim Etchells an der Fassade installieren lassen, Statements, Imperative, poetische Ausblicke. Das jetzige Display ist narrativer, prozessualer, lädt zum Bleiben ein. Das mag nicht so pointiert sein wie die beiden präzisen Sätze zuvor, ist aber offener, situativer, dynamischer.

[Temporäre Installation Untitled von Shilpa Gupta auf dem Dach der Kestnergesellschaft.]

Was ist also Kunst im Stadtraum, was könnte oder sollte so genannt werden? Nach unserer Tour entlang den vergangenen und gegenwärtigen Gleisen einer Stadtbahnlinie bleiben diese Fragen bewusst offen. Allgemeingültige Antworten kann es ohnehin nicht geben. Ich plädiere an dieser Stelle, ganzheitlicher zu denken, Diskurse nicht zu scheuen und postdisziplinär zu integrieren. Nur so kann es gelingen, eine Stadt mit allen relevanten Kräften, Expertisen und Perspektiven weiterzuentwickeln und vielleicht sogar zeitgnössisch neu zu begreifen, ohne das historisch Gewachsene zu ignorieren.

Die Killerfrage, mit der ich eingestiegen bin, stellt sich so ähnlich aktuell auch auf der documenta 15. Dazu werden die Kolleginnen aber später einen eigenen Überblick erarbeiten. Von meiner Seite nur so viel zu den aktuellen Diskursen: Auch hier scheint von Bedeutung zu sein, ergebnisoffen zu erörtern: Was kann und soll Kunst genannt werden, was als Werk? Was ist letztlich zu sehen und zu erleben, wo bleiben individuelle künstlerische Positionen, welche Rolle spielt Kultur dabei und ist sie immer mit Kunst kompatibel? Und letztlich: Wie wäre umzugehen mit Reibungen zwischen Kunst und Kultur (beziehungsweise: mit kulturellen Identitäten)?

Das letzte Wort gewähre ich gerne dem stets meinungsstarken Bazon Brock, laut Wikipedia „emeritierter Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Bergischen Universität Wuppertal, „Denker im Dienst“, „Künstler ohne Werk“ und Kunsttheoretiker“: Er hat dem Deutschlandfunk ein bedenkenswertes Interview über die documenta und das Ende der Kunst gegeben.

[Temporäre Installation Untitled von Shilpa Gupta auf dem Dach der Kestnergesellschaft.]

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